Donnerstag, 13. Dezember 2007

Wir behaupten das Gegenteil!

Die Frage, wie die automatisierten Abläufe der Assoziationen unseres Vorstellungslebens überwunden werden können, ist schwierig, aber reizvoll. Gedanklich ist das Problem eigentlich schon gelöst, wenn ich folgende Frage formuliert habe: Wie ist die Gegenwart zu verneinen? Die Frage ist, wie kommen wir durch das Überwinden der Vorstellung zur lebendigen Imagination. Zur Imagination als einem objektiven Wahrbild in einer Gesellschaft des Subjektiven, in der es keine Wahrheit gibt. Die Griechen kannten kein Wort für Wahrheit. Sie brauchten den Ausdruck ‚a lethia‘, was so viel heisst, wie ‚nicht vergessen‘, ‚erinnern‘, für Plato und nicht nur für ihn, bedeutete dies ‚Geisterinnern‘ der lebendig schaffenden Ideenwelt. Da ist anzuknüpfen:
Wir behaupten das Gegenteil. Ich bin – Ich bin nicht. Eigentlich sind wir da im Bereich der Verneinung des Gegenwärtigen. Die Verneinung des Gegenwärtigen ist die Verneinung des Anwesenden, dessen was anwest als Geist und Seele in der Leiblichkeit. Es ist also die Verneinung des Wesens im gegenwärtig Gewordenen des Leibes. Das Wesen ist das Geistige in der Erscheinung dessen, was gegenwärtig vor uns liegt. In der subjektivierenden und damit alles relativierenden Gesellschaft wird das Geistige in der Erscheinung verneint, indem behauptet wird, dass die Erscheinungen nur unsere Vorstellungen sind, die sich selber aufgrund der Rückkoppelungssysteme in unserem Organismus automatisch selbstorganisierend (autopoietisch) organisieren. Das ist ebenso Verneinung des Gegenwärtigen. Die Verneinung der Geistesgegenwart: Des Wesens im Anwesenden als Innerlichkeit des Menschenseins. Daher kommt die Abwesenheit des Desinteressierten. Dies geschieht durch die Geistesabwesenheit, das Desinteresse des Geistverlassenen.Damit kommt es zur Entgeisterung. Die Gesellschaft des Subjektivismus ist entgeistert. Die Bejahung des Gegenwärtigen, des Anwesenden, des Geistigen, das in der Erscheinung anwest, des Wesens also, ist ihr Gegenteil, ist Begeisterung.Im ‚Ich bin‘ der Wirklichkeit fühle ich Begeisterung. Im ‚Ich bin nicht‘ der Vorstellung fühle ich Entgeisterung. Das ist Ohnmacht.‚Ich bin‘ ist Leben, ist Identität mit dem Wesen im Anwesenden.‚Ich bin nicht‘ ist Tod, Entgeisterung, Verlust des Wesens, das sich uns entzogen hat. Wir leben gegenwärtig in Vorstellungen, nicht in Wirklichkeiten sondern in subjektiven Illusionen. Deshalb sind wir entgeistert.Leben bedeutet ‚Geburt ins Diesseits‘. Tod bedeutet ‚Geburt ins Jenseits‘. Wenn ein Geist stirbt, wird er Mensch; stirbt ein Mensch, wird er Geist (Novalis).In jeder Idee erleben wir eine Geburt, im Verwirklichen der Idee führen wir diese in den Tod, in die feste Erscheinung. Erkennen wir die Idee in der Erscheinung wieder, dann erkennen wir ihr Wesen, wir sind begeistert, da es im Anwesenden west. Das Erkennen des Wesens ist Auferstehung in der Erkenntnis der lebendig sich wandelnden Idee.Wir erleben im Leben Tausende Geburten, Tausende Tode, ein stetes Auferstehen, weil wir sonst nicht leben könnten. Im Verneinen des Wesens, das ist in der Illusion, sind wir tot.
Geburt ist Weihnachten, Tod ist Karfreitag, Ostern ist Auferstehung. Das ist der Weg der Ideenverwirklichung und der Wesenserkenntnis im Erscheinenden. Das ist das Wesen der Kunst, die schafft, sich aus dem Geschaffenen entzieht und es dem Betrachtenden überlässt die Auferstehung zu erleben.
Wenn wir in unserer subjektivistischen Gesellschaft das Gegenteil der Gesinnung dieser Gesellschaft behaupten, dann sind wir in der Verneinung des gegenwärtig Gültigen. In der entgeisterten Gesellschaft hat diese Verneinung durch den Subjektivismus keine Berechtigung. Das müssen wir akzeptieren. Akzeptieren heisst aber nicht, dass wir es nicht trotzdem tun können. Nämlich das Gegenteil zu behaupten.
In unserer die Gegenwart des Geistes verneinenden Gesellschaft ist es nicht angebracht, das christliche Geheimnis von Geburt, Tod und Auferstehung konsumfeindlich zur Darstellung zu bringen. Man darf es nicht so darstellen. Dass dies so ist, ist auch ein Gegenwärtiges, das Gegenwärtige des Wesenlosen. Die Verneinung dieses Gegenwärtigen ist folglich die Bejahung des Wesens. Die Verneinung der Verneinung ist die Bejahung. Daraus entsteht Begeisterung durch Wesenserkenntnis. Wir sind begeistert, das Gegenteil zu behaupten und einen Weg dieser Verneinung darzustellen. Daraus ergibt sich die Frage: Wie stelle ich in der ‚Gesellschaft der Verneinung des Geistes-Gegenwärtigen‘ Geburt, Tod und Auferstehung dar?
Das ‚Ich bin‘ ist das Gegenteil, die Verneinung des ‚Ich bin nicht‘ und umgekehrt.Das Leben die Verneinung des Todes und umgekehrt.Das Lächeln überwindet das Weinen, es behauptet das Gegenteil.Die Freude die Trauer,Die Liebe den Hass.
Immer ist es auch umgekehrt.Die Verneinung der Verneinung der Geistesgegenwart im Anwesenden ist das Überwinden der Gewalt, die wir dem Erscheinenden und damit dem anderen Menschen durch unsere Vorstellungen antun, denn die Vorstellungen verneinen das Wesen im Anwesenden. Deshalb sind sie unwirklich. Die Gewalt aber ist wirklich. Die Verneinung des Wesens führt vorerst zum Identitätsverlust, weil wir das Wesen selber sind. Wir finden unsere Identität wieder in der Wesenserkenntnis. Aber wir müssen durch diese transpersonale Krise gehen, um unsere wirkliche Identität zu finden.Die Wüste blüht nach einem einzigen Regen.Der Keimling entsprosst dem toten Samenkorn.Aus dem dürren Ast entspriessen grüne Blätter.Im Lazarett der Kriegsgeschundenen stellt die Frau eine Sonnenblume in den Raum: Sie behauptet das Gegenteil.Der Arzt nimmt die Hand einer Mutter, deren Sohn im Sterben liegt.Der Geiger macht Musik beim Sterbenden. Er behauptet das Gegenteil.Durch die Verneinung der ‚Gewalt der Verneinung des Wesens im Anwesenden‘ schaffen wir den Durchbruch durch unsere Identitätskrise zum Quell des Lebens, unseres ‚Ich-bin‘, zum Wesen unserer selbst, zu unserer wirklichen Identität, zum wahren Menschsein.Die Möglichkeit dessen, dass wir das Gegenteil behaupten können, macht uns frei. Es kann uns niemand zwingen, den Durchbruch zu schaffen. Wir können in der ‚Verneinung des Wesens in der Erscheinung‘, in unserer Vorstellung also, verharren.Das Bild vom Menschen im Menschen ist Wesenserkenntnis unter Menschen. Es ist das Bild vom Antlitz des Menschen. Dieses ist die gesuchte Imagination.Behaupten wir das Gegenteil dessen was Phrase, Konvention und Routine sind!

Beachten Sie bitte die Bücherreihe des Autors Fritz Frey zum Thema Illusion und Wirklichkeit. Die Bücher sind im Grin-Verlag in München erschienen:

- Die Informationslücke. Ist die Selbstbestimmung des Menschen eine Illusion?
- Der entscheidende Zeit- Not- wendige Schritt. Welt- und Ichbewusstsein, Illusion oder Wirklichkeit?
- Wut, Chaos und Zerstörung. Gesellschaft und Ichbewusstsein.

Sonntag, 9. Dezember 2007

Ödipus und Theseus an der Schwelle zur Unterwelt.

Was haben Theseus und Ödipus an der Schwelle zur Unterwelt gesehen? Sich selbst, in ihrem wahren Menschsein. Hades und Kore/Persephone haben den Jakchos, die wahre Natur des Menschen, gezeugt. Persephone als Bild für die Menschenseele, die den Kräften des Unteren (Hades), der wirklichen Natur von Instinkt, Trieb und Begierde und den Kräften des Oberen, den sie von aussen bestimmenden Kräften der äusseren Formen Zeus und Demeter ausgeliefert ist, so wie die unerwachsene Menschenseele ausgeliefert ist dem ES und dem Über-Ich. Aber die Menschenseele gebiert in sich die Kraft des lebendigen, schaffenden und schöpferischen Geistes. Der die Verhältnisse der Evolution gestaltende Geist wird individualisiert. Das ist die wahre Natur des Menschen, die von Kore/Persephone geboren wird. Es ist davon zu sprechen, dass diese wahre Natur das Antlitz des Menschen sei.In erschütternder Weise kreuzen zwei Schriftsteller und Denker im 20. Jahrhundert ihre Wege: Ernst Wiechert und Emmanuel Lévinas. Wiechert, in Ostpreußen (Masuren) geboren, ist durch ein von zwei Weltkriegen geprägtes Leben gegangen. Im Ersten Weltkrieg als Leutnant der Reserve verletzt, hat er erlebt, was Krieg wirklich heißt. Seinen ein Jahr vor Kriegsende, einen Tag nach seiner Geburt verstorbenen Sohn hat er nie gesehen. Vom Elend des Krieges geprägt, wird Wiechert im Dritten Reich kein Mitmacher, sondern er steht zu seiner menschlichen Gesinnung. Dies macht ihn verdächtig. Er wird von der Gestapo verhaftet und wegen betont staatsfeindlicher Gesinnung und Erregung von öffentlicher Unruhe gegen Partei und Staat ins Konzentrationslager Buchenwald überführt. Nach Protesten aus vielen Ländern wird er nach fast vier Monaten wieder entlassen. Eingeschüchtert und gedemütigt verlässt er das Lager und wird weitere zwei Monate später von Goebbels gezwungen an den Weimarer Dichtertagen teilzunehmen. Das ist ein Kompromiss, der ihm von übel wollenden Kritikern nach dem Zweiten Weltkrieg zum Vorwurf gemacht wird. Bis 1945 steht er unter Gestapo-Aufsicht und lebt sehr zurückgezogen. Sein Buch Einfaches Leben wird 1939 noch mit großem Erfolg veröffentlicht. Die neu geschriebenen Bücher werden der Zensur unterworfen und sein gesamtes Werk gelangt auf die Liste der Unerwünschten Literatur. Seine Aufzeichnungen vom Aufenthalt im KZ Buchenwald im Buch Der Totenwald können erst nach dem Zusammenbruch der Öffentlichkeit übergeben werden. Das Manu¬skript eines anderen Buches, Die Jeromin-Kinder, muss aus Gründen der Sicherheit im Garten vergraben werden. 1948 verlässt er verbittert und unverstanden Deutschland. Zwei Jahre später verstirbt er in der Schweiz, in Uerikon am Zürichsee.Seine Rede an die Deutsche Jugend, die er am 11. November 1945 hielt, war ein weitsichtiger Versuch, mit der Vergangenheitsbewältigung zu beginnen. Wenn er darin von der zwölfjährigen Schande des deutschen Volkes sprach, schaffte er sich natürlich damit keine Freunde. Mit solch mutigen Aussagen kam er schlecht an: «Wer ist unter uns, in dessen Haut sie sich nicht eingefressen hätte wie ein Kainsmal. Sie begann mit dem, was die Mächtigen die Gleichschaltung nannten und sie endete mit dem Henkerbeil, das Tag und Nacht niedersauste auf die gebeugten Nacken eines gebeugten Volkes, das den Lohn seiner Knechtschaft empfing.» Er beklagte das Schweigen der deutschen Dich¬ter und Denker, die keinen Protest und kein Wort der Ablehnung verlauten ließen, deren Namen er aber niemals nannte. Er verehrte aber jene, die es eben doch auch gab und die niemals die Würde verloren hatten: «Lasst uns nur still derer gedenken, die ungebeugt, ungetäuscht, geschmäht und verachtet in das große Schweigen gingen (…). Lasst uns erkennen, dass wir schuldig sind und dass vielleicht hundert Jahre erst ausreichen werden, die Schuld von unseren Herzen zu waschen (…) Die Welt wird doch immer die Frage erheben, warum fast alle gehorsam und still waren. Denn es gab Aufrechte, die durchgekommen sind (…)»Es ergeben sich erstaunliche Parallelen zwischen der biographischen Entwick¬lung von Ernst Wiechert und jener Emmanuel Lévinas. Lévinas wird etwa zwanzig Jahre nach Wiechert, in Litauen, ebenfalls im Ostsee-Raum, geboren. Er ist jüdischer Herkunft. Er wächst in der jüdischen Tradition und in der russisch¬sprachigen Umwelt auf. So erlebt er nach der Umsiedlung in die Ukraine neben den Einflüssen des Alten Testamentes jene durch die russischen Schriftsteller Tolstoi, Dostojewski, Lermontow, Turgenjew, Puschkin und Gogol. 1920 kehrt er zurück nach Litauen und wird durch seinen Deutschlehrer den Werken Goethes nahe gebracht. Er studiert bei Heidegger und dem Phänomenologen Husserl. 1933 erlebt er die tiefe Enttäuschung durch Heideggers Rektoratsrede, in der dieser sich nicht von der Hitlerbewegung distanziert. Von 1934 bis 1939 ist er Studienleiter bei der Alliance Israélite Universelle in Paris. Er wird dann ins Militär eingezogen und gerät 1940 bei Rennes in deutsche Gefangenschaft. Darauf wird er in das Stamm¬lager (Stalag) XI B bei Fallingbostel (Lüneburger Heide) überführt und muss dort Waldarbeit verrichten. Er treibt, so gut es möglich ist, nebenbei philosophische Studien. Die französische Offiziersuniform, vor der die Nazis Respekt haben, rettet ihm das Leben. 1945 wird er befreit und er erhält die Nachricht, dass seine Familie in Litauen 1943 durch die Deutschen ermordet wurde. 1947 erscheint sein in der Gefangenschaft begonnenes Werk De l’existence à l’existant (Vom Sein zum Seienden) und er beginnt seine Talmudstudien beim geheimnisvollen Talmudlehrer Mordechai Schuschani. Er veröffentlicht viele Schriften, habilitiert 1961 und erhält einen Lehrauftrag in Poitiers. 1975 erhält er den Ehrendoktortitel der Staats-Universität in Leiden. 1979 begegnet er ein erstes Mal Sartre, ein Jahr darauf Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Frankreich. 1982 verfasst er die Schriften Wenn Gott in Denken einfällt, Jenseits des Buchstabens (anspruchsvolles Judentum) und Ethik und Unendliches. 1995 erscheinen seine gesammelten Schriften Alterität und Transzendenz (Schriften von 1967-1989). Am Weihnachtstag 1995 stirbt er am letzten Tag des jüdischen Chanukka-Festes.Durch seine Erlebnisse in der Gefangenschaft und den Schock der Hinrichtung des litauischen Zweiges seiner Familie, «schwor er sich, nie mehr deutschen Boden zu betreten. Durch seine Bemühung um die Frage von Wahrheit und Menschlichkeit sah er eine gemeinsame Aufgabe von Judentum und Christentum, wobei es ihm dabei wohlgemerkt nicht um eine Vermischung geht. Auch nicht zwischen Philosophie und Judentum. Für eine Vernunft aus den Quellen des Judentums, wie sie Lévinas vertrat, ist deshalb auch die Ethik keine Frage einer »Disziplin«. Ethik ist für das Judentum ein Erstes, etwas Universales. Aber sie ist, wie Lévinas später in Jerusalem erfahren musste, wo er noch in den achtziger Jahren als »Witz« gehandelt wurde, immer noch an eine bestimmte Sprache gebunden. Solange er in seinem litauisch gefärbten Hebräisch sprach, hatte er unter seien Hörern auch religiöse Juden, als er zum Französischen wechselte, blieben sie weg. (…) Was bedeutete Heimat für Lévinas, der seine litauische Herkunft später durch den fehlenden Akzent auf dem »e« bewahrte? Heimat ist für Lévinas eine Frage der Kultur und nicht der Nation; 1930 wird er französischer Staatsbürger. Aber vor allem ist Heimat eine Frage der Verantwortung. In einem Satz aus den »Brüdern Karamasow« findet Lévinas eine neue Deutung des »auserwählten Volkes« als Erwählung zur Verantwortung:«Ich bin verantwortlich für alle und für alles, und ich mehr als alle anderen.» Sollte dies der Grund gewesen sein, dass man Lévinas in Israel zu seinen Lebzeiten die kalte Schulter zeigte, einem Philosophen, der Zionismus immer nur in Verbindung mit einem Universalismus der Verantwortung denken konnte?»Es zeigt sich die interessante Tatsache wie auf verschiedene Weise Wiechert und Lévinas an die Verantwortung ihres Volkes für alle und alles appellieren … und wie beide zu Lebzeiten von ihrer Nation zurückgewiesen werden. Beide sterben nicht anerkannt und nicht erkannt in ihrem Denken.Der zentrale Punkt, der die beiden verbindet, ist aber wohl meist völlig unbekannt. Es ist der Punkt der alle Menschen überhaupt verbindet, aber offensichtlich der Stein des Anstoßes ist. Das Antlitz des Menschen. In den Werken beider Autoren wird dieses zum Grundanliegen ihres Seins.Bei Wiechert finden wir dieses Antlitz in seinem Werk 'Das einfache Leben' in Form einer literarischen Erzählung, in der Schilderung Orlas, eines ehemaligen Kapitäns von einem Kriegsschiff: « […] Also es war auf meinem letzten Schiff, als das Ende kam. Sie holten die Flagge nieder, und ich kam dazu. Es waren schlimme Gesichter, und in das vorderste hob ich meine Pistole. Es war wohl nur eine Sekunde Zeit, denn sie standen auch schon hinter mir, aber es war mein Fehler, dass ich das Gesicht ansah. Es war nicht ein augenblicklicher Fehler, wissen Sie, sondern ein angeborener, dauernder Fehler. Dass ich nicht schoss wie ein Automat, sondern dass ich zuerst dachte, oder auch nur, dass ich sah, eben ein Gesicht sah, und nicht eine Fratze oder eben das Böse.Und als ich sah, war es eben ein Gesicht, nicht vielleicht Gottes Ebenbild (daran habe ich sicherlich nicht gedacht), aber doch ein Stück Leben, mit Atem gefüllt, mit Blut, mit Leidenschaft, etwas, wozu ich den Tod und die Zerstörung in der Hand hielt.Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen. Ich hatte nicht etwa Angst, ich fürchtete mich nicht, sondern ich sah nur und grübelte vielleicht, wenn das in einer Sekunde geschehen kann. Ich bin überzeugt, dass ich geschossen haben würde, trotzdem, aber ich hatte die Sekunde versäumt, die gleichsam blinde Sekunde, vielleicht auch nur den Bruchteil einer Sekunde. Denn als der Abzug zurückwich, schlugen sie von hinten zu. Ich weiß nicht einmal, ob der Schuss noch gefallen ist. Ich griff im Fallen in das Fahnentuch, und dann warfen sie mich über Bord. Ich verlor die Besinnung, noch im Fallen, aber mein Bursche sprang mir nach und rettete mich.Sein Gesicht war blass geworden und wie von einer leisen Scham gequält.Aber der Graf hob beruhigend seine Hand. «Sie dürfen das nicht schwer nehmen, Orla», sagte der Graf. «Es ist Ihnen doch klar, dass Sie das Schiff nicht gerettet haben würden. Aber das spielt ja auch nur die geringste Rolle, denn Sie sind ja der Meinung, dass dies ein verstohlener Flecken auf Ihrer Ehre sei. Aber dieser Meinung bin ich nicht. Nicht hingehen, das würde eine andere Sache sein. Die Kajütentür wieder zumachen und so tun, als ob man nichts gesehen hätte. Aber dieses, was Sie »das Sehen« nennen, das ist etwas Anderes. Zum Töten ohne Sehen oder Denken, zum blinden Töten gehört eine gewisse grandiose Verachtung des Lebens, des eigenen so gut wie des anderen. Aber wer einmal erkannt hat, dass alles Leben ein Wunder ist, das der Pflanze so gut wie das des Menschen, der hat eben die zögernde Hand oder sagen wir auch die Ehrfurcht der Hand, und der ist nicht zum Soldaten geboren. Ob es richtig ist oder nicht, das Zögern, meine ich, ist eine ganz andere Sache, und ich will sie nicht entscheiden. Außerdem entzieht es sich ganz unserem Willen, es ist erst da, wenn die Probe da ist, und dann ist es zu spät. Wir können dann nur noch einsehen, dass wir eben nicht den rechten Beruf gewählt haben. Übrigens bewundere ich, dass Sie es erzählt haben. Sehr wenige würden es getan haben. Und ich verstehe jetzt auch erst, weshalb Sie auf die Insel gegangen sind.»Dieser Moment, der Blick in das Antlitz des anderen Menschen, ist der Moment des Erlebens und damit der Erkenntnis des anderen Ich-bin. Es ist nicht das Spiegelbild des Subjekt-Ich, denn dieses erscheint oftmals als die Fratze. Was aber durch die Fratze hindurch, durch die Augen hindurch scheint, nicht durch die Farben der Iris, sondern durch das Schwarz der Pupille, das ist die Begegnung mit dem anderen Ich-bin. Mit der Wirklichkeit des anderen Ich, mit der ich durch mein Umkreis-Ich verbunden bin. Darin lebe ich mit meinem Denkwillen, und nur so kann die Wirklichkeit des anderen Ichs erkannt werden. Lévinas fasst das von Wiechert literarisch und dramatisch Geschilderte in klare philosophische Sätze:«Die Weise des Anderen, sich darzustellen, in dem es die Idee des Anderen in mir überschreitet, nennen wir nun Antlitz. Die Weise besteht nicht darin, vor meinem Blick als Thema aufzutreten, sich als ein Ganzes von Qualitäten, in denen sich ein Bild gestaltet, auszubreiten. In jedem Augenblick zerstört und überflutet das Antlitz des Anderen das plastische Bild, das er mir hinterlässt, überschreitet er die Idee, die nach meinem Maß und nach dem Maß ihres ideatum ist – die adäquate Idee. Das Antlitz manifestiert sich nicht in diesen Qualitäten, sondern κάθ’άυτο`. Das Antlitz drückt sich aus.»Lévinas will hier genau das darstellen, was oben geschildert ist. Nämlich, dass es nicht die Gesichtszüge, noch die Augenfarbe sind, was uns berührt, sondern was als Wesen des Anderen in mich übergeht. Wir sehen in Lévinas Auffassung von der Idee des Antlitzes die scheinbar in alle Ewigkeit verwurzelte Meinung, dass die Idee über das Wahr¬genom¬mene nur ein Abglanz, eine Vorstellung, bzw. Spiegelung des Anderen sei. Unserer Auffassung nach, die der Kantischen widerspricht, ist das Wesen des anderen Menschen eben diese Idee des Ich-bin selbst, die in mir ebenso lebt und wirklich ist, wie in ihm auch. Das ist dasjenige, was Lévinas mit Antlitz bezeichnet. Das Antlitz ist dasjenige, was uns im Innersten unseres eigenen Ich-bin berührt, indem wir den Anderen ebenso als Menschen erkennen und anerkennen wie uns selber. Sein Ich-bin lebt in meinem Ich-bin und umgekehrt. Das Antlitz ist die Idee des Mensch¬seins, als reale Wirkkraft und somit erkennbar als Idee in der Wirklichkeit und nicht als transzendentale, nicht erkennbare Wirksamkeit, die unwillkürlich in mich übergeht. Indem wir in diesem Moment des Sekundenbruchteils sind, wo wir die Wirkung erfahren, nehmen wir es auch wahr. Das ist eine erhöhte Bewusstseinsstufe, jene der Intuition. Wir erkennen das Antlitz des Menschen im Erleben durch die Intuition. Das ist dasjenige, was jeder Vorstellungsbildung voraus geht. Die Vorstellung, die dann ins Alltagsbewusstsein gelangt, ist nur ein Spiegelbild dessen, was wir wahrgenommen haben und das unmittelbar Wahrgenommene lässt sich nur schwer durch die Sprache beschreiben.Lévinas weiter: «Wenn Sie eine Nase, Augen, eine Stirn, ein Kinn sehen und sie beschreiben können, dann wenden Sie sich dem Anderen wie einem Objekt zu. Die beste Art, dem Anderen zu begegnen, liegt darin, nicht einmal die Augenfarbe zu bemerken. Wenn man auf die Augenfarbe achtet, ist man nicht in einer sozialen Beziehung zum Anderen. Die Beziehung zum Antlitz kann gewiss durch die Wahrnehmung beherrscht werden, aber das, was das Spezifische des Anderen ausmacht, ist das, was sich nicht darauf (auf die Wahrnehmung, A.d.V) reduzieren lässt.»So muss Lévinas naturgemäß auch auf die Freiheitsfrage zu sprechen kommen. Er tut dies in »Die Philosophie und die Idee des Unendlichen« in folgender Weise: «Wie entkommt das Antlitz der Machtbefugnis des Willens, der über die Evidenz verfügt? Das Antlitz erkennen, heißt das nicht, es sich bewusstmachen; und sich eine Sache bewusstmachen, heißt das nicht freiwillig zustimmen? Führt die Idee des Unendlichen, als Idee, nicht unausbleiblich zurück zum Schema des Selben, das sich das Andere einverleibt? Das ist richtig, es sei denn, die Idee des Unendlichen bedeute den Zusammenbruch des guten Gewissens des Selben. In der Tat ist es so, als ob die Gegenwart des Antlitzes – die Idee des Unendlichen in mir – meine Freiheit in Frage stellte.»Lévinas stellt hier in Frage, ob die Begegnung mit dem Anderen, d.h. die Begegnung von Mensch zu Mensch frei sei oder nicht. In der Tat scheint es so, dass weder die Handlung von Kapitän Orla bei Wiechert eine freie war, noch die Idee vom Wesen des Anderen mich frei lässt. Da gilt es, eine Herausforderung anzunehmen und den Freiheitsaspekt in dieser Extremsituation zu beleuchten. Wenn Lévinas die Gegenwart des Antlitzes, als die Idee des Unendlichen in mir betrachtet und diese Idee als eine Realität erlebt und dadurch erkennt, kann er nicht sagen, dass meine Freiheit in Frage gestellt sei. Wir werden sehen warum! Wenn er die Freiheit in Frage stellt, dann bestimmt er die Idee als etwas Transzendentales, außer dem Men¬schen wirkendes. Nur was mich von außerhalb bestimmt, lässt mich nicht frei. Wenn er von der Idee des Unendlichen in mir spricht, die meine Freiheit in Frage stellt, spricht er vom Gott des Alten Testamentes oder von den Ideen Platos, die in der Sinnenwelt nur ihren schwachen Abglanz haben und nicht in ihrer Wirklichkeit erkennbar, aber dennoch bestimmend sind. Die Menschheit hat sich aber seit dem Alten Testament und seit Plato weiterentwickelt. Die Evolution steht nicht still. Insofern ist es richtig, wenn Nietzsche sagt, dass Gott tot ist. Wer die kriegerischen Katastrophen und auch die Katastrophe des kalten Krieges im 20. Jahrhundert erlebt hat oder diese historisch nachzuempfinden versucht, kann zu keinem anderen Ergebnis kommen, als zu erkennen, dass für unser Bewusstsein Gott tot ist. Wohinein ist er denn gestorben dieser Gott und in welcher Form? Er hat sich hingegeben in die Substanz der Materie. Dass uns aber die Materie in unendlich mannigfaltigen Formen erscheint und die Gesetzmäßigkeiten dieser Formen im Menschen der menschlichen Individualität und ihrer selbst bewusst werden, ist eine beobachtbare Tatsache. Wir haben gesehen, dass die Gesetzmäßigkeiten der sinnlich wahrnehmbaren, materiellen Erscheinungen in ihren Formen nur die eine Seite der Wirklichkeit sind. Die andere Seite sind die Gesetzmäßigkeiten, welche in der geistigen Gestalt der Begriffe und Ideen in der Materie formgebend wirken. Das sind keine transzendentalen Erschei¬nungen und auch keine nominalistischen Willkürbestimmungen. Was uns in den Sinnen erscheint als Wahrnehmung, das ist dasselbe, was wir in der Erkenntnis gedanklich durch die Begriffe oder Ideen bestimmen. Begriffe und Ideen bilden sich nicht fotografisch oder spiegelbildlich in unserem Gehirn ab, sonst müssten wir keine Erkenntnisarbeit durch das Denken leisten. Sie sind aber auch nicht von uns intersubjektiv konstruierte Konventionen, die wir nominalistisch über die Erschei¬nun¬gen stülpen. Sie sind das geistige Gegenbild dessen, was unseren Sinnesorganen materiell als Gegenstand gegeben ist. Das den Sinnen Gegebene wird durch die subjektiv gegebene physiologische Organisation unseres Körpers (s. das Buch Wut, Chaos und Zerstörung. Gesellschaft und Ichbewusstsein. Grin-Verlag,München 2007: Physiologische Dialektik des Organgeschehens unter 4.1) von den Wahrnehmungen getrennt und im Erkenntnisprozess wieder verbunden. Das Getrenntsein erleben wir als das Erstorbensein des Geistes. Im Denkakt der Wiederverbindung erleben wir in der Evidenz der Erkenntnis die Verlebendigung des Geistes. Wenn wir die Tätigkeit des Denkens nicht vollziehen, können wir nichts erkennen. Diese ist ein Willensakt und bleibt vorerst im Unbewussten. Zu dieser Tätigkeit kann niemand gezwungen werden. Die Erkenntnistätigkeit ist ein Akt der Freiheit. Dies gilt auf der Ebene des Mineralischen, wo wir die Gesetzmäßigkeiten durch die Methode der Kausalität erken¬nen. Ebenso gilt es auf der Ebene des Psychischen, deren Gesetzmäßigkeiten methodologisch durch das finale Denken erarbeitet werden. Die Ebene des Organischen durch das Mittel dieser beiden Methoden erkennen zu wollen, muss zwingend scheitern. Hier ist die Methode der simultan-korrelativen Denkweise anzuwenden. Wie wir aber zur unmittelbaren Erkenntnis des Antlitzes, des Wesens des Menschen kommen und im Erleben desselben empfinden können, wie der Geist, oder wenn wir so wollen die Gottheit im Menschen wieder verlebendigt wird, müssen wir gesondert ausführen.Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung soll die Idee des Menschseins an sich sein: «Unser aller Gemeinsames ist, dass wir verschieden sind.» Dass wir uns als verschiedene Subjekte erleben, bestreitet niemand. Wie diese Verschiedenheit entsteht, versucht man sich durch die Gentheorien und durch die Theorien der Gehirnforschung zu erklären. Was allen Theorien gemeinsam ist, ist dies, dass sie eben Theorien sind. Sie nennen sich nicht Wirklichkeiten. Wir wollen aber der Wirklichkeit auf die Spur kommen. Dazu hilft uns Goethe mit seinem Satz: «Alles Faktische ist schon Theorie, man suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie selber sind die Lehre.» Mit dem Satz »Unser aller Gemeinsames ist, dass wir verschieden sind« liegt vor uns die Wirklichkeit einer Idee. Sie zeigt sich in der Gestaltung des Subjekts, es gibt keine zwei Menschen die gleich sind. Nicht einmal bei eineiigen Zwillingen ist dies der Fall. Also nicht einmal bei Menschen die genetisch absolut identisch sind. Dieser Satz lässt sich auch nicht verstehen durch die kontingente Selbstorganisation der Vorstellungen, die wir in unserem Gedächtnis, wo immer sich dieses auch auffinden lässt, gespeichert haben. Dieser Satz lässt sich nur durch eine Denkanstrengung verstehen, sonst bleibt er leer. In der Denkanstrengung der Aktivität unseres Denkwillens haben wir aber genau das Prinzip, die Idee, die sich in diesem Satz als Wirklichkeit ausspricht. Es ist die urmenschlichste Tätigkeit, sich selbst als Subjekt und die Erscheinungen der Welt als Objekte zu bestimmen. Das Antlitz des Menschen, wie es die zwei Denker des 20. Jahrhunderts erleben, ist das Urbild, die Idee des Menschen. Dieses wiederum ist die Individualisierungskraft im Kosmos. Die alle Verhältnisse gestaltende Kraft im Zentrum der Gottheit, der Trinität von Geist, Substanz und lebendiger Verhältnisgestaltung zwischen Geist und Substanz. Alle Dinge erscheinen uns so: Die materiellen Wahrnehmungen wie sie unseren Sinnen gegeben sind, stellen sich aus dieser Gesetzmäßigkeit, aus der Wirklichkeit dieser Idee heraus gestaltet, unseren Sinnen dar. Sie erscheinen. Aber im bloßen Anschauen wird uns das Angeschaute niemals bewusst. Wir müssen uns das durch die Sinne Wahrgenommene bewusstmachen. Das geschieht durch die Denktätigkeit. Diese ist unser aller Gemeinsames, durch das wir verschieden sind. Die Denktätigkeit ist die im Menschen auf individuelle Weise bewusst gewordene Kraft der Individualkraft im Kosmos, die jedes Ding auf seine Weise erscheinen lässt. In der Natur lassen sich die erscheinenden Dinge Klassifizieren in Arten, Gattungen, Familien usw. Beim Menschen ist eine solche Klassifizierung nicht angebracht, denn jeder ist insofern eine Gattung für sich, als er sich selbst bestimmt und nicht den Automatismen seiner naturgegebenen Grundlage des Geschehens von Instinkt, Trieb und Begierde folgt. In dieser Anschauung der Wirklichkeit ist auch die Überwindung eines jeden Rassismus, Nationalismus und jeglicher Diskriminierung, sei es von Menschengruppen, Behinderten oder Kranken, gegeben.Durch die Selbstbestimmungskraft, Selbst- und Weltgestaltungskraft sind wir als Menschen individuell und das macht das allen Gemeinsame des Menschseins aus.Das Soziale ereignet sich in der Erkenntnis der Wirklichkeit und Wirksamkeit dieser Idee. Darin liegt die Grundkraft jeglicher Toleranz. Das ist der Freiheitsimpuls des wahren Menschseins, durch den sich eine moderne Gemeinschaft erst bilden kann. Es kann keine wirkliche Brüderlichkeit geben, wo keine Freiheit herrscht. Menschen können sich nur aus freien Stücken zu Gemeinschaften finden. Alles andere widerspricht der Würde des Menschen.Diese Wirklichkeit der göttlichen Individualisierungskraft wirkt in jedem Menschen. Erst dadurch, dass wir diese erkennen, werden wir wirklich frei. Sie ist nicht transzendental, uns von außen bestimmend, gegeben. Die Kraft der Individuation ist das wahre Menschsein selber, in dem sich die göttliche Individualisierungskraft im Menschen als Wesen des Menschen selber bewusst wird. Das ist die Wirklichkeit der Freiheit und der Liebe. Denn ohne Freiheit gibt es keine Liebe. Niemand kann zu Liebe gezwungen werden. Gleichzeitig ist die Liebe die Grundlage, auf welcher die Freiheit gedeihen kann. Niemals wird ein liebender Mensch einen anderen zu etwas zwingen, was dieser andere nicht will. Diese Kraft können wir nur intuitiv erfassen, so wie wir den Wirklichkeitssinn des Satzes «Unser aller Gemeinsames ist, dass wir verschieden sind» eben auch nur intuitiv erfassen können. In der Intuition spielt sich die wahre Begegnung zwischen Menschen ab, so wie sich durch Intuition die Erkenntnis der Idee in der Wirklichkeit ereignet. In der Intuition leben wir in der Wirklichkeit des anderen Menschen, so wie er durch sie in uns lebt.So wirkt im intuitiven Erfassen des Anderen, das Erfassen von der Wirklichkeit der Freiheit und der Liebe. Aus diesen Kräften heraus nur kann die Verantwortung für sich selbst, für den anderen Menschen und für die Welt getragen werden. Nur aus der Individualkraft heraus kann das geschehen, niemals von außen, auch nicht vom Anderen diktiert.Dieses Geschehen kann die wahre Natur des Menschseins genannt werden. Die wirkliche Natur finden wir im Eingesponnensein des Subjekts in den Bedürfnissen des Egos, die von seinem Es geprägt und vom Über-Ich in Schach gehalten werden müssen. Die wahre Natur des Menschen ist das Antlitz des Menschen, durch welches die Freiheit und die Liebe in der Form der Selbst- und Weltgestaltungskraft des Menschen strahlen. Da gibt es keinen kategorischen Imperativ mehr! Das Gesetz des «Du sollst nicht töten!» wird zum freien Willen des «Ich will nicht töten!»

Sonntag, 11. November 2007

Quo vadis, Europa?

«Es ist an der Zeit», so spricht der alte mit der Lampe im »Märchen« Goethes, das von der grünen Schlange und der schönen Lilie handelt. Es ist an der Zeit zu erkennen, dass der Mensch ein Bewusstsein seiner selbst, als eines geistig schöpferischen Wesens, entwickeln muss. Die Erkenntnis, dass das Denken, Fühlen und Wollen des Menschen Werkzeuge sind, die er bewusst zu seiner Entwicklung schulen, fördern und einsetzen soll, wird durch Goethe angesprochen. Dass der Mensch diese Qualitäten aus freiem Willen gleichmäßig und harmonisch ausbilden kann, so dass sein Ichbewusstsein als harmonisierende Kraft sich in der Sozietät in wirklich menschlicher und unabhängiger Art und Weise verwirklicht, wird in rätselhaften Imaginationen vor das noch schlafende Bewusstsein der mitteleuropäischen Menschheit hingestellt. Die Bilder wurden noch nicht und werden auch heute noch nicht in ihrer ganzen Tragweite verstanden. Der entsprechende Gedanke Pestalozzis von der harmonischen Ausbildung von Kopf, Herz und Hand wirkte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts noch in den Lehrplänen der staatlichen und vieler privaten Schulen nach. Die Idee, dass im Menschen ein göttlicher Funke wirkt, der als Kraft, welche das Ich-Bewusstseins schafft, gepflegt sein will, war den meisten der maßgebenden Denker jener Zeit gemeinsam. Dass solche Bildung des Menschen zu einem freien und unabhängigen Wesen, das als mündiger Mensch in der Gesellschaft stehen und auch in Freiheit seinen persönlichen Bezug zum Geiste entwickeln kann oder dies aus Freiheit auch unterlassen kann, musste die Institutionen alarmieren.Es war die Aristokratie, die fürchtete, ihren Einfluss, der über Jahrhunderte allein durch Vererbung von Amt und Würde aufrechterhalten wurde, weiter zu verlieren. Wobei sichtlich die Fähigkeiten der Adeligen mehr und mehr hinter Amt und Würde nachhinkten. Es war die Kirche, die sich um den schwindenden Einfluss des dogmatischen Glaubens bei ihren Schäfchen sorgte und es war der neu aufkommende Finanzadel, der im richtig verstandenen Ideal von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit seine aufkommende Vorherrschaft über den Menschen gefährdet sah.Nichts liegt näher, als dass sich diese drei Machtströmungen, nämlich die des Geisteslebens (Kirche), die des Rechts- und Staatslebens (Aristokratie) und die des aufkommenden und alles zu beherrschen trachtenden Wirtschaftslebens (Finanz-Aristokratie) ein gemeinsames Interesse entwickelten: Die Freiheit im Geistesleben, die Gleichheit im Rechts- und Staatsleben sollten ebenso verhindert werden, wie die Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Es musste ausgeschlossen werden, dass die humanistischen Gedanken einer wahren Demokratie verwirklicht werden konnten. Denn eine wirkliche Demokratie, in welcher der Mensch als freies Wesen seine Ideenfähigkeit unzensiert und frei in den Dienst der Gesellschaft stellen konnte, würde die freie Entfaltung der Persönlichkeit erfordern. Dies konnte nur dadurch verhindert werden, dass die Schulen entweder dem Staate oder der Kirche unterstellt wurden. Theoretisch war und ist es auch heute noch möglich, freie Schulen zu gründen und zu führen. Dies wird aber zu einem finanziellen Hochseilakt, was bedeutet, dass dabei die Gefahr der Abhängigkeit von den Finanzmächtigen entsteht und die »freie« Schule nach den Bedürfnissen der Wirtschaft funktionieren soll, also alles andere als frei ist.Die Gleichheit im Bereiche des Rechtslebens hätte bedeutet, dass die Privilegien der Aristokraten und der Finanzaristokraten aufgehört hätten zu existieren. Das konnte nur dadurch verhindert werden, dass die Gewaltentrennung unterlaufen wurde. Anstatt dass die freie Ideenfähigkeit der Richter ausgebildet wurde, wurden sie nach altem römischem Rechtsverständnis auf staatlich finanzierten Universitäten instruiert. Die Richterämter wurden in der nach und nach zum Demokratismus entarteten Demokratie nach Parteienzugehörigkeit ausgehandelt. Es gibt den freien Richter nicht mehr, wenn es ihn vielleicht zu Beginn der Phase der Demokratie auch gegeben haben mag. Die Verflechtung oder wie heute das Schlagwort sagt, die Verfilzung in der Demokratie hat seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ein ebensolches Maß angenommen wie dies in den Kaiser- und Königshäusern seit Jahrhunderten der Fall war, was das Volk gegen diese empörte.Darüber, dass die Wirtschaft, sei es die Nationalökonomie als nationaler Egoismus oder die globalisierte Wirtschaft (als unbegrenzter Egoismus der weltweit verflochtenen Finanzinteressen der globalen Finanzaristokratie), die ihren Ausgangspunkt im Beginn der Ausbeutung der Kolonien hat, die Forderung nach der Brüderlichkeit erfüllt, muss nicht lange nachgedacht werden. Das soziale Elend und der Hunger sind selbst in den reichen Staaten Antwort genug, es wird immer augenfälliger, dass ein kleiner Teil der Menschheit über einen großen Teil derselben schamlos verfügt.Goethe hat es den Alten mit der Lampe aussprechen lassen und Schiller hat es in seinen Schriften dargestellt, dass nur die freie Entwicklung des Menschen im oben dargestellten Sinne für die Menschheit segensreich sein kann. Goethes Glück war es vielleicht, dass seine rätselhaften Bilder nicht verstanden wurden. Schiller, der seine Ideen in gedankenklarer Schärfe dem Intellekt zugänglich machte, kam auf jeden Fall unter mysteriösen Umständen ums Leben. Dabei mochte man in den angesprochenen Kreisen weder seine freiheitlichen Schriften wie den »Wilhelm Tell«, noch seine klaren Darstellungen vom Wesen des Menschen in den Briefen »Über die ästhetische Erziehung des Menschen«, da sie den Menschen zur inneren und äußeren Freiheit aufriefen und auch heute noch aufrufen. Zur Zeit des Nationalsozialismus bereiteten Goethe und Schiller den Machthabern erhebliche Probleme. Sie wurden von »wissenschaftlichen Kommissionen« in dem Sinne bearbeitet, dass sie »volksverträglich« wurden. Besonders Schiller, der durch seine intellektuelle Klarheit bestach, wurde zu einer führergleichen Figur hochstilisiert und missbraucht. Mit Goethe war dies schwieriger, da der Einstieg in die Lebendigkeit seiner Art des bildhaften Denkens den nationalsozialistischen Bearbeitern aus verständlichen Gründen schwer möglich war.Bis heute wird nicht zur Kenntnis genommen, dass Goethes Imaginationen im Märchen wegweisende Ideen für die Entwicklung der europäischen Gesellschaft sind. Die Verfilzung von unfreiem Geistesleben, Lobby-bestimmtem Rechtsleben und sich überall einmischendem profitgierigem Wirtschaftsleben wird ebenso im gemischten König des Märchens dargestellt, wie das chaotisierte menschliche Seelenleben, welches den Menschen hilflos den Ereignissen in der Welt gegenüber stehen lässt. Das Chaos des gesellschaftlichen Lebens, die Verfilzung des Wirtschaftslebens mit der Politik und das Hineinwirken der religiösen Machtanwartschaft ist nach wie vor Gesellschaftsbestimmend. Ebenso wie Schiller und Goethe in ihren wirklichen, der Gesellschaft Wege weisenden, Aussagen bis heute ignoriert werden, so wird die Idee der gesellschaftlichen Strukturierung, die Steiner zu Beginn des 20. Jahrhunderts an Schiller und Goethe anschließend, erarbeitete, ignoriert. Dieser zeigte deutlich auf, wohin die undifferenzierte Vermischung von Recht, Wirtschaft und unfreiem Geistesleben führen musste. Das Nichtergreifen seiner Ideen nach dem Ersten Weltkrieg hat Europa direkt in den Zweiten Weltkrieg geführt und von den USA abhängig gemacht.Wie sich im Verlauf der Geschichte das Geistesleben, beginnend mit dem Griechentum aus dem Einflussbereich der Theokratie befreit hat, so hat sich das Rechtsleben in der Entwicklung der Bürgerrechte im Römertum daraus befreit. Mit dem Ende des Mittelalters und dem Beginn der Neuzeit hat sich auch das Wirtschaftsleben aus der Abhängigkeit von Klerus und/oder Adel befreit. Wenn ein kirchlicher oder weltlicher Staat über diese drei Bereiche künstlich die Kontrolle aufrechterhalten will, dann gerät er mit seinen Bürgern automatisch in Konflikt. Denn der Staat hat einzig in Bezug auf die Gleichheit des Rechtes, die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz der Bürger vor Übergriffen auf deren Integrität das Sagen. Die Bewusstseinsentwicklung macht aber nicht halt vor dem Willen der Mächtigen. Will ein Staat diese unabhängig gewordenen Bereiche kontrollieren, dann ist seine Ideologie realitätsfremd geworden. Wenn eine realitätsfremde Ideologie durchgesetzt werden will, geht dies nur durch die Mittel der Gewalt.Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben müssen entfilzt werden, wenn es denn zu einer menschengerechten Entwicklung der Gesellschaft kommen soll. Gelingt dies nicht, wird die Entwicklung zur Eine-Welt-Regierung der totalen Kontrolle, wie sie heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts,mit der Argumentation der Terrorbekämpfung in der Tendenz liegt, verwirklicht. Ihre Richtung nahm diese Entwicklung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Der erste und der zweite Weltkrieg sind nur die logische Folge der Entwicklung einer Idee zur Hegemonie einer Elite, deren Ziel die Beherrschung der Welt und des Menschen ist. Diese Hegemoniebestrebungen haben ihren Anfang schon früh mit dem Aufbau der Kolonialreiche genommen.Europa hat die Chance, sich auf seine echten eigenen Werte zu besinnen und aus dieser Eigenkraft heraus ein föderatives, entfilztes Staatensystem zu entwickeln, wenn die Menschen in Europa aufwachen und erkennen, dass Europa nicht einfach ein billiges Anhängsel der USA bildet.

Samstag, 3. November 2007

Die Intelligenz des Bösen

Warum sind die Essays von Jean Baudrillard so schwer zu verstehen oder wie viele, auch Fachleute, sagen, überhaupt unverständlich. Jean Baudrillard begibt sich zur Schwelle dessen, was mit dem Alltagsdenken, mit den Alltagsvorstellungen nicht denkbar und nicht fassbar ist. Es ist die Schwelle zu einer parallelen Welt, die laufend performativ (aus der Gesamtheit des Daseins hereinwirkend) in unsere subjektive Art zu sein hineinspielt. Es ist die Welt des uns Unter-, bzw. Überbe­wussten, die laufend in unser Denken, Fühlen und Wollen hineinwirkt und die die Welt des Kalküls durchbricht und unter- oder überläuft.Baudrillard geht von der Welt als Resultat jenes Kalküls im logischen Sinne aus, der als Grundbaustein (Grundzeichen) die Basis für komple­xere Ausdrücke abgibt. Der Kalkül liegt den Regeln der Aussagelogik und den Anfangsregeln, den Axio­men, nach denen die Sprache sich bildet, zu Grunde. Praktische Anwendung finden die Kalküle in der Informatik, auf deren Dualismus (ein – aus, ja – nein) unser Denken reduziert zu werden droht. Gemäß der Sprachphilosophie bildet die Grammatik der Sprache unser Bewusstsein. Jean Baudrillard hat nun das Bedürfnis nach einem «absoluten Fortschritt hin zu einer Verzweigung der einzelligen Lebewe­sen, einer digitalen Aufeinanderfolge und einem automatischen Kalkül, das vor jedem komplexen und analytischen Denken liegt.»[1] Das bedeutet, dass er eine mentale Entsprechung einer Phase sucht, die der Nullpunkt der Zeugung ist, zum Nullpunkt des Denkens vor dem Entstehen der künstlichen Intelligenz führt. In der Tat sucht er nach dem Impuls, der dem Bilden von Gedanken, Begriffen und Vor­stel­lungen vorausgeht. Er fragt nach dem, was die künstliche Intelligenz program­miert und ins Leben gerufen hat. Damit sucht er nach dem Ursprung unseres Bewusstseins, das er als in einer Spiegelwelt hoffnungslos gefangen erlebt. Er spricht von einer «doppelten Illusion: die einer objektiven Realität der Welt, die einer subjektiven Realität des Subjekts, die sich in dem gleichen Spiegel brechen (…)»[2] Es gibt seiner Ansicht nach nicht nur die Illusion eines realen Objekts, es gibt auch die eines realen Subjekts der Repräsentation (Vorstellung) – und die beiden Illusionen, objektive und subjektive Illusion, sind korrelativ. Baudrillard nennt diesen Sachverhalt ein Mysterium. In der Tat beo­bachtet er minutiös, was sich im Spiegel unseres reflexiven All­tags­bewusstseins, unserer Mentalebene II (der Verstandes- und Gemütsseele) abspielt, welcher die Resultate unserer gesamten naturwissenschaftlichen Grundhaltung entspringen. Da­bei ist es bezeichnend, dass er nach einem automatischen Kalkül sucht, das vor je­dem komplexen und analytischen Denken liegt. Er sucht nach dem selbst- und dem weltgestaltenden Prinzip, das er nicht erkennen kann, weil die Vorurteile des so genannt wissenschaftlichen Denkens, trotz der scheinbaren Spontaneität seiner Denk­methode, große Entwicklungs­hemm­nisse vor ihm aufbauen. Er er­kennt nicht, dass er durch seine Art zu denken vor der Schwelle steht, an die ihn sein Denkwille, die Ge­stalt­kraft seines eigenen Denkens geführt hat und er erkennt nicht, dass er diesen Denk­willen er­grei­fen muss, um die Schwelle übertreten zu können. Er erkennt weiter nicht, dass er sich diese Schwelle mit dem iterativen Pa­ra­dox der Illusion des Subjekts in der Illu­sion der Welt, das heißt der ihm von der Außenwelt entgegenkommenden Objekte selber aufbaut. Was sagt Baudrillard, wenn man genauer hinschaut, genauer hindenkt?«(…) Es gibt nicht allein die Illusion eines realen Objektes, es gibt auch die Illusion eines realen Subjekts (…) – und die beiden Illusionen, objektive und subjektive Illusion, sind korrelativ.»Wenn wir auf die Vorder- und Rückseite eines Blattes schreiben: Was auf der Rück­­sei­te des Blattes steht, ist eine Illusion! Dann entspricht dies genau den folgenden Aussagen: Alle Kreter sind Lügner, sagte der Kreter. Oder: Ich lüge jetzt. Wie man sich aus solchen ins Unendliche widersprechenden Aussagen retten kann, ist in Die Informationslücke und in Der entscheidende Zeit-Not-wendige Schritt in aller Ausführlichkeit dargestellt. Hier sei nur das Resultat eines langen und ausführlichen Beweises des Mathematikers Kurt Gödel[3] in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zitiert: «Wichtige logische Systeme, wie Arithmetik und Algebra, müssen immer Aussagen enthalten, die wahr, aber nicht aus einem bestimmten Axiomensystem herleitbar sind, wenn sie lösbar sein sollen.» Diese logi­sche Aussage im Zentrum jeglichen Systems wird in der Physik Informationslücke ge­nannt. Man kann den Einwand machen, dass in der Wissenschaft Annahmen gemacht werden können, nicht zwangsläufig wahr sein müssen. Sie sind aber stets das Fundament, auf dem alles weitere aufgebaut wird. Sobald die Annahmen widerlegt werden können, bricht alles zusammen. Die Wissenschaft postuliert, dass die Annahmen empirisch überprüfbar sein müssen. Dieses Postulat selbst kann aber nicht überprüft werden, sondern basiert auf Vereinbarung. Diese ist nicht mehr und nicht weniger als eine Spielregel für das »Spiel«, das sich Wissenschaft nennt. Da sich bewusstseins- und formbildende Kräfte nicht aus der Materie erklären lassen, schließt der Geist diese Informations- bzw. Erklärungslücke. Die Geistrealität setzt sich den empirischen Daten keineswegs entgegen, vielmehr ist der grundlegende Wirkungs- und Erklärungszusammenhang im Welt- und Menschenbild dadurch ein deutlich anderer. Die Finger in die Wunde legen heißt die Frage nach dem Sinn stellen. Und hier beginnt das eigentlich Glatteis, um welches die Naturwissenschaft einen eleganten Bogen macht. Diesen Bogen hat der Philosoph Kant mit seiner Kritik der praktischen Vernunft offenbar für alle Zeiten gerechtfertigt.Die Wirklichkeit der wahren Aussage ist aber keine Informationslücke, wenn man das System von außen betrachten kann. Sich aus der Spiegel­welt der Unwirk­lichkeiten und Illusionen herauszuheben ist möglich, dadurch dass man durch den Denk­­willen seinen Kör­per erst erkennen kann, wenn man ihn gedanklich als Subjekt bestimmt und ihn so den Objek­ten, die man ebenfalls durch den Denkwillen ge­dank­lich bestimmt, ge­­gen­­überstellt. Damit haben wir den Freiheitspunkt jeglicher Be­wusstseinsentwicklung überhaupt erkannt. Dieser kann nicht gedanklich wider­legt, sondern nur emotional intellektuell abgeleugnet werden. Ohne das Schwel­lenerlebnis des iterativen Paradoxons, das den Menschen unlösbar und hoffnungslos mit dem System verkettet, kann nicht zum Bewusstsein des Denkwillens vorge­schritten werden.Wenn Baudrillard nach dem automatischen Kalkül sucht, das vor jedem komp­lexen und analytischen Denken liegt, dann bewegt er sich genau in diesem Bereich. In den Büchern "Der entscheidende Zeit-Not-wendige Schritt" (F. Frey, Grin-Verlag München, 2006) und in "Wut, Chaos und Zerstörung" (F. Frey, Grin-Verlag München, 2007) wird dargestellt, dass dieses Zentrum die Logik des Systems an sich ist. Das ist die Selbstgestaltungskraft des Systems, der Logos. Diesen haben wir als den Weltgestaltungswillen, der sich im System entäußert und damit eben nicht metaphysisch, sondern in seiner Erschei­nungs­weise in andersartiger Gleichheit identisch und damit erkennbar ist. Er er­scheint als die alle Verhältnisse gestaltende Kraft und ist eben nicht dualistisch-transzendent, damit können wir mit Wittgenstein sagen: «Das logische Bild der Tatsachen ist der Gedanke. »Ein Sachverhalt ist denkbar« heißt: Wir können uns ein Bild von ihm machen. (…) Der Gedanke enthält die Möglichkeit der Sachlage, die er denkt. Was denkbar ist, ist auch möglich. Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch denken müssten. Man sagte einmal, dass Gott alles schaffen könne, nur nichts, was den logischen Gesetzen zuwider wäre. – Wir könnten nämlich von einer »unlogischen« Welt nicht sagen wie sie aussähe. Etwas »der Logik widersprechendes« in der Sprache darstellen, kann man ebenso wenig, wie in der Geometrie eine den Gesetzen des Raumes widersprechende Figur durch ihre Koordinaten darstellen; oder die Koordinaten eines Punktes angeben, welcher nicht existiert.»Im Ergreifen der Gestaltkraft des Denkwillens, individualisieren wir die alle Verhältnisse gestaltende Kraft des Logos. Wir erkennen die Idee in der Wirklichkeit und verwirklichen die Idee in die Wahrnehmbarkeit durch die Sinne oder in die Wahr­nehmbarkeit durch das Denken hinein, welches das Organ der Wahrnehmung von den Ideen ist. Dies ist keine Transzendenz. Es ist unbegreiflich davon zu sprechen, dass Ideen transzendental sein sollen, da sie ja durch das Denken ebenso beobachtbar sind, wie der Baum durch das Auge und der Ton durch das Ohr.Im Denkwillen könnte Baudrillard den Kalkül finden, der allen Kalkülen zu Grunde liegt. Aber dieser Kalkül taucht nicht automatisch auf. Er ist nur zu haben, wenn wir ihn im Tun hervorbringen. Deshalb ist alles Erkennen ein schöpferischer Akt. Wir schaffen die Wahrheit in der Erkenntnis. Sie ist uns nicht automatisch gegeben. Ist unsere Erkenntnis nicht wahr, so ist sie keine Erkenntnis. Der Irrtum wird korrigiert durch den Logos in der Welt und im Menschen. Wenn dieser Kalkül automatisch auftauchen würde und nicht durch den schmerz­haften Geburtsvorgang des Schwellenübertrittes zum Erleben des Denkwil­lens, dann wäre er so gegeben, wie die übrige Welt auch. Dadurch würde die Ent­wicklung stag­­nieren oder wie Baudrillard in seiner Schrift »Die Intelligenz des Bösen« zeigt, in die Dekadenz der Banalität versinken. Wenn die Erkenntnis- und Erfah­rungs­wirklichkeit des Denkwillens automatisch auftreten würden, dann wäre sie entwick­lung­shemmend und dadurch böse. In der künstlichen Intelligenz erkennen wir den Logos durch die Kalküle zu Tode gemartert und erstorben, maschinell automatisiert. Der Ausdruck »künstliche Intelligenz« übt eine gewisse Faszination aus, ist aber nichts weiter als ein programmiertes und zumeist datenbank­gestütztes System von Methoden, welche entsprechend vorgeschlagen werden, wenn ein Ereignis unter Umständen eintritt. Das System der künstlichen Intelligenz übernimmt die Rolle eines Experten, dessen Wissen hinterlegt wurde. D.h. dieses System kann niemals über dasjenige hinauswachsen, was hinterlegt wurde. Um den Logos brauchen wir uns deswegen nicht mehr, aber auch nicht weniger Sorgen zu machen. Erkenntnis des Logos und Umgang mit dieser Erkenntnis liegen da, wo sie immer liegen: in der Verantwortung des Menschen.Baudrillard spricht über die Intelligenz des Bö­sen: «Bei der Intelligenz des Bösen muss man begreifen, dass es das Böse ist, das intelligent ist, welches uns denkt – in dem Sinne, dass es automatisch in unser Handeln impliziert ist. Denn es ist nicht möglich, dass eine Handlung oder eine Sprache, gleich welche es sei, nicht über ein Doppelgesicht, eine Rückseite und folg­lich eine duale Existenz verfügen. Und dies gegen jede Finalität oder objektive Ausrichtung. Diese duale Form ist unüberwindbar, von jeglicher Existenz unabtrennbar, und folglich ist es vergebens, sie verorten oder, mehr noch, sie an­pran­­gern zu wollen.»Das Bedürfnis Baudrillards nach dem vor allem komplexen und analytischen Den­ken automatisch auftretenden Kalkül zeigt seinen Willen nach der Erkenntnis des Bösen, welches er stets im Schlepptau des Guten sieht und umgekehrt. Das Eine wur­zelt im Anderen und gerade dadurch ist es möglich, dass Evolution stattfindet. Die Bewusstwerdung des Denkwillens ist unmöglich ohne die Erkenntnis der Wirk­kraft des Bösen im Sinne von Goethes Faust: «Ich bin ein Teil von jener Kraft die stets das Böse will und stets das Gute schafft.»Böse in diesem Sinne sind die evolutionshemmenden Kräfte, die uns den Denk­wil­len nicht zu Bewusstsein kommen lassen wollen. Diese aber deswegen an­zupran­gern, wäre im Sinne Baudrillards gerade das Verkehrte, weil, nun in unse­rem Sinne, gerade diese Widersacherkräfte uns es ermöglichen, den Denkwillen besonders stark aus­zubil­den.
[1] Baudrillard, Jean: Die Intelligenz des Bösen. Wien 2006. S. 156.
[2] Ebenda: S. 30.
[3] Frey, Fritz: Die Informationslücke. München 2006. S. 13

Donnerstag, 11. Oktober 2007

Das alte und das neue Europa

Die Rolle Europas

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Die Frage nach dem „alten“ und dem „neuen Europa“ ist spätestens im Vorfeld des dritten Golfkrieges (Krieg gegen den Irak, 2003) aktuell geworden. Wer sich nicht vorher schon Gedanken darüber gemacht hat, wie die Vergangenheit Europas in einem Verhältnis zu seiner Zukunft betrachtet werden kann, konnte durch diese Bemerkung Donald Rums­felds aufgeweckt werden. Keineswegs klar ist es jedoch, was er mit seiner Äußerung unter „altem Europa“ und unter „neuem Europa“ zu jenem Zeitpunkt verstand und was er damit sagen wollte. Er konnte damit bestimmt nicht das kriegerische Europa zu Beginn und zum Ende des 19. und jenes vor den zwei Weltkriegen des 20. Jahrhunderts gemeint haben, denn dieses Europa hätte sich wohl seinen Macht- und Hegemoniebestrebungen kriegerisch gegenübergestellt, was in unserer Zeit undenkbar ist. Er kann auch nicht das Europa des kalten Krieges gemeint haben, das in ständiger Bedrohung durch die Supermacht UdSSR froh und dankbar war für den Atomschirm, den die USA über Westeuropa hielten. Denn dieses Europa war den USA dadurch ebenso verpflichtet, wie durch den wirtschaftlichen Aufbauplan nach dem zweiten Weltkrieg (Marshallplan). Wer sich länger darüber Gedanken macht, kommt darauf, dass er das Europa der Gleichgewichte gemeint haben könnte, das Europa der Kunst der Vermittlung zwischen Staaten, die durch sich widersprechende Interessen in Konflikt geraten. Das Europa der Diplomatie, das nach dem Wienerkogress im 19. Jahrhundert doch für kurze Zeit eine friedliche Entwicklung zwischen den sich bildenden Nationalstaaten ermöglichte. Nehmen wir an, er machte sich über diese Art von „altem Europa“ lustig und er lobte das „neue Europa“ der Mitmacher beim Irak-Krieg als jenes Europa, welches den USA und ihrem Hegemoniebestreben kritiklos und hörig nachfolgt. Es war ein merkwür­diger Augenblick der Geschichte, als ersichtlich wurde, auf welche Art allen voran Großbritannien, dann Italien, Spanien, Polen, Portugal, Albanien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Georgien, Island, Lettland, Litauen, Mazedonien, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, die Ukraine und Ungarn als europäische Länder in die sog. „Koalition der Willigen“ eintra­ten. Und dies zum großen Teil entgegen dem Willen der jeweiligen Bevöl­kerung. Es ist dies ein seltsames historisches Phänomen, das zeigt, wie die USA auf diese Art den Willen der UNO unterlaufen konnten und sich damit die Legitimation zum Präventivkrieg gegen den Irak selber gaben.

Das „neue Europa“ das an der Koalition der Willigen teilhatte, sah sich nach dem zwischenzeitlichen Erfolg des „Sieges“ gegen den Irak in seiner Haltung bestätigt. Aber das Erwachen zur Selbstbesinnung und damit zum Verlassen dieser fragwürdigen Koalition kam bald, als sich der Krieg mehr und mehr in die Länge zog. Wer vermag es, heute das Ende dieses Krieges und des Elendes im Irak abzusehen.

Durch den Verlauf der Kriege im Irak und in Afghanistan und durch das Durchsickern der wirklichen Hintergründe, die zu diesen Kriegen geführt haben, wurde erreicht, dass der Vorwand, sich des Terrors entledigen zu wollen, sich immer mehr als strategische Planung zur Hegemonie im Na­hen Osten und in Zentralasien entpuppte.

Welche Rolle spielen aber dabei das „alte“ und das „neue Europa“? Welches Europa wird sich zu einer Kraft entwickeln, zu einem wirklich neuen Europa, welches nicht in einer Koalition der Willigen einer weltwei­ten Führungsmacht gehorsam zu folgen hat? Wird es ein Europa sein, das die Menschenrechte nicht der gerade herrschenden politischen „guten Ordnung“ entsprechend anpasst und Entführungen von Verdächtigen in geheime CIA-Gefängnisse zulässt und auch unter der sug­ge­rierten Angst vor dem provozierten Terror auch mal ein „bisschen“ foltern lässt, wie dies die weltweit einzige Supermacht USA praktiziert. Diese Fragen wollen der Möglichkeit eines selbständigen Europas und dessen Rolle, die es im weltweiten Kräftespiel einnehmen könnte, nachgehen.

Es soll, gegeben durch die historischen Phänome, auch untersucht werden, ob es nicht Gesetzmäßigkeiten der sozialen und staatlichen Entwicklung gibt, die berücksichtigt sein wollen, wenn man von einer gesunden gesellschaftlichen Evolution sprechen will. Dies soll unter drei Aspekten geschehen:

- Individualisierung und Emanzipation des Menschen.

- Notwendige Grundlagen zum sozialen Zusammenleben.

- Größtmögliches Wohl einer Gesamtheit von zusammen­arbei­tenden Menschen
innerhalb von staatlichen Gebilden.

Der Begriff „altes Europa“ kann dann nicht mehr in der Form gebraucht werden wie oben charakterisiert. Unter dem „alten Europa“ wird die geschichtliche Entwicklung bis zur Französischen Revolution Ende des 18. und zur Industriellen Revolution zu Beginn des 19. Jahrhunderts und dem, mit dem Ende des Ersten und des Zweiten Weltkrieges vollendeten, totalen Umbruch der Geschichte Europas verstanden. Das ist der Zeitpunkt, zu welchem die USA in die Geschicke Europas eingriffen. Dieser Umbruch hält bis heute an. Der Blick in die Zukunft betrifft ein Europa, das seine vollständige Eigenständigkeit und seinen Gleichgewichts­cha­rakter zwi­schen Ost und West erkennt und ihn als Aufgabe in der Ge­schichts­ent­wick­lung begreift. Die Hegemoniebestrebungen einer Macht wie der USA, die von einer bestimmten Elite geführt wird, kön­nen der Viel­falt der Menschheit nicht gerecht werden. Das künftige Europa hat die Aufgabe, diese Viel­falt in ihrer Bedeutung bewusst zu machen, zu pflegen und zu zeigen, dass nicht die weltweite Gleich­schaltung durch die im Demokratismus erstarrte Demokratie, die global durchgesetzt werden soll, die Lö­sung sein kann.

Billigflüge

Keine einfachen Rezepte

Wo liegen die Gründe stets zunehmender Aggression und Zerstörungswut in unserer Gesellschaft? Nicht allein der politische Ausdruck dieses Phänomens durch links- oder rechtsextreme Gruppierungen wirkt beunruhigend und verunsichernd in den Alltag. Die zunehmende Gewaltbereitschaft auf Pausenhöfen und in Klassenzimmern gegenüber Gleichaltrigen oder Erwachsenen lässt längst aufhorchen. Die jungen Menschen als Indikatoren des Gesundheits- oder Krankheitszustandes unserer Gesellschaft reagieren am schnellsten auf Störungen im zwischenmenschlichen oder staatlich-sozialen Bereich. Das Phänomen zeigt sich ebenso in den Fussballstadien und in den Discotheken.
Durch wirklichkeitsfremde, aus Statistiken und Prognosen erzeugte soziologische Konstrukte, durch welche die Gesellschaftsstrukturen verändert und der Zeit angepasst werden sollen, lässt sich das Bedürfnis der Kinder und Jugendlichen nach echter, wirklichkeitsgemäßer (eben nicht konstruierter!) Begegnung nicht erfüllen. Repression und Prävention auf der Grundlage wirklichkeitsferner Konstrukte haben keine Wirkung.
Die jungen Menschen empfinden sich nicht als die psychischen Konstrukte, als welche ihr Ich-Bewusstsein wissenschaftsgegeben bezeichnet wird, sondern als reale Wirklichkeiten, welche wahrgenommen und ernst genommen werden wollen.
Im unten aufgeführten Buch wird das gesellschaftliche Denken, das zur gegenwärtigen Situation geführt hat gründlich analysiert. In der Analyse kommt der Autor zum Schluss, dass einerseits wirklichkeitsfernes Denken letztlich zu Repression führt, ebenso wie zusammenhangloses Denken zur Unverbindlichkeit zwischen den Menschen führen muss. Beide Denkweisen der Erwachsenenwelt finden keinen Zugang zu den jungen Menschen. Ein Umdenken, das die Wirklichkeit des Menschen und der Welt erfassen kann, tut not. Denn durch ein solches Denken ist jeder Mensch erreichbar, es ist geradezu eine Grundvoraussetzung zu einer gesunden Entwicklung. Der Weg dahin ist im Buch eindrücklich dargestellt. Ebenso werden die Gründe ausgeführt, warum sich die postmoderne Gesellschaft mit Händen und Füssen gegen ein solches Umdenken wehrt.

Eine Schrift zu diesem Thema heisst: Wut, Chaos und Zerstörung. Gesellschaft und Ichbewusstsein. Erschienen im Grin-Verlag München. 2007. Autor: Fritz Frey

Montag, 17. September 2007

Vorlesung, Ärzteweiterbildung

Ich und Welt – Konstrukte unseres Gehirns?
(Referat zur Informationslücke)

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir wollen uns heute damit befassen, was die Grundlage unseres Urteilens und Handelns im Alltag und in unserem Beruf ist. Seit Immanuel Kant (1724 – 1804), seit 200 Jahren also, durchdringt eine bestimmte Art von Weltanschauung das Denken der westlichen Gesellschaft und strahlt von da aus über die ganze Erde. Durch seinen zwingenden Charakter bewirkt es einerseits Faszination in seinen Möglichkeiten, andererseits Unfreiheit gerade durch diese Faszination. Durch dieses Denken ist ein Welt – und Menschenbild zustande gekommen, durch das wir einerseits in Unfreiheit gefesselt werden. Andererseits werden wir auf seiner Grundlage zutiefst verunsichert und aus der Welt des Wirklichen hoffnungslos entwurzelt.
Versuchen wir das Zustandekommen dieses Welt- und Menschenbildes zu durchschauen:
Das Entstehen unserer Welt wird durch das heute anerkannte Standardmodell der Kosmologie begründet. Darin wird von einem sehr heissen und dichten Frühzustand des Universums ausgegangen. Er wird in der Form des Urknalls, des Big Bang, beschrieben. Das Modell bestätigt die folgenden drei Beobachtungen:
1. Häufigkeit und Zustandekommen der Elemente durch die primordinale Nukleosynthese. Gemäss Modellvorstellung war das Universum so heiss, dass Materie in Quarks und Glutonen aufgelöst war. Durch Expansion und Abkühlung entstanden Protonen und Neutronen. Nach etwa einer Sekunde verschmolzen aus Protonen und Neutronen die Kerne leichter Elemente: Wasserstoff, Helium und Litium.
2. Gemäss Modell wurde dieses undurchsichtige, ionisierte Gas etwa 300'000 Jahre nach dem Urknall transparent. Zur gleichen Zeit entstand die kosmische Hintergrundstrahlung.

3. Die Expansion des Universums. Aufgrund der stetigen, allseitigen Ausdehnung glaubt man das Alter des Universums nachrechnen zu können. Mittels der Hubble – Konstante kommt man auf ein Alter von ca. 12,5 bis 20 Milliarden Jahren.

Das ist die Zeit, die der Evolution der Natur und des Menschen bis heute, also der Epoche der Postmoderne zur Verfügung stand. (Nebenbei bemerkt ist das die selbe Rechnung, wie wenn man die Grösse eines Menschen berechnen würde, der bei Geburt 50 cm lang ist und im ersten Monat 3 cm wächst. Mit dieser Konstante wäre er dann nach einem Jahr 86 cm lang, nach zwei Jahren 122 cm, nach drei Jahren 158 cm ... setzen sie die Rechnung ruhig selber fort). Eine gewisse Absurdität ist dieser Berechnung ja nicht abzusprechen.
Die Evolution wurde, wohlverstanden immer gemäss der Theorie, durch die Selbstorganisation der Materie, das heisst durch Rückkoppelungsprozesse und Wechselwirkungen der Urelemente, in Gang gesetzt.
So entstand die Mineralwelt, also die anorganische Welt der Elemente aus Atomen und Molekülen.
Durch die unendliche Selbstorganisation in der Wechselwirkung zwischen Atomen und Molekülen entstanden natürlich immer kompliziertere Verbindungen, die in die Struktur der Eiweissmoleküle mündeten. Damit war in der Form der Algen die Grundlage für das organische Leben gelegt, also für das Entstehen der Pflanzenwelt und der Tierwelt. Durch das Bedürfnis nach Nahrung entwickelte sich in der Tierwelt durch die Wechselwirkung zwischen Umwelt und Individuum und zwischen den Individuen ein begierdehaftes und triebhaftes Innenleben, das in der Pflanzenwelt noch nicht vorhanden ist. Damit erwachte das Empfindungsleben als Grundlage des seelischen Erlebens. Im rein darwinistischen Sinne begann der Kampf ums Überleben des Stärkeren, was der Evolution zu Impulsen verhalf, die zu immer raffinierteren Anpassungsmethoden führten. Bis es zum Evolutionssprung des menschlichen Denkens und Vorstellens reichte. Einen Vergleich zwischen der Ontogenese und Phylogenese des Denkens wollen wir später anstellen.

Jetzt betrachten wir vorerst das Zustandekommen des menschlichen Zusammenlebens, der Bildung von Gesellschaften, Kulturen und der Gesetze die das Zusammenleben regeln.
Die Pflanzen, als Produzenten der Nahrungsgrundlage, und die Tiere, als die geschilderten Empfindungswesen, regeln ihr Zusammenleben im Fliessgleichgewicht der Biozönose. Wie hier Lebens- und Todeskräfte zusammenwirken und durch ein übergeordnetes Regulativ in einem gesunden Fliessgleichgewicht gehalten werden, ist ebenfalls Gegenstand späterer Betrachtungen.
Die systemischen Theorien, die der modernen Gehirnforschung, der Biologie, der Soziologie, der Psychologie, ja heute eigentlich allen Wissenschaften zu Grunde liegen, gehen von einem einheitlichen Paradigma einer weiteren Evolution aus. Sie nehmen an, dass sich durch das Prinzip des ‚survivel of the fitest‘ aus der Mentalebene I, der Empfindungsebene der höheren Säugetiere die Mentalebene II des Verstandesdenkens des Menschen herausgebildet habe. Dies soll durch reentrente Wechselwirkungen zwischen den Gehirnerven, Gehirnzentren und den Nervenzentren des motorischen und sensiblen Nervensystems einerseits und den Genen und Hormonen andererseits geschehen sein.
Der Mensch, in seiner heutigen Erscheinung, wird als psychisches System, das einzig und allein ein subjektives Bewusstsein haben kann, determiniert. Das Zustandekommen des Ich-Bewusstseins kennzeichnet dieses als reine Illusion. In der Interaktion der psychischen Systeme untereinander entstehen die Regeln des Zusammenlebens in der Form von intersubjektiven Konventionen. Diese werden als Paradigmen zu kategorischen Imperativen und als diese einerseits verinnerlicht, andererseits auf die anderen Menschen projiziert, denen wir ein ebensolches subjektives Sein, wie uns selber zuschreiben. So kommt gemäss der Systemtheorie, der die Methode des Konstruktivismus zu Grunde liegt, das Gewissen zustande. Dieses ist also relativ und passt sich der jeweiligen Zeitepoche und der jeweiligen Sozietät an.
So beschreibt der systemische Konstruktivismus das Zustandekommen von Natur, Kultur, Menschenrechten und Gewissen.
Unser Ich-Bewusstsein, das Du–Bewusstsein ebenso wie unser Weltbewusstsein und unser Gottesbewusstsein sind folglich Konstrukte, die durch Neuronenfeuerungen in unseren Gehirnen zustande kommen. Die Gehirnforschung legt die Zentren, die diese Konstrukte bewirken durch die Verfahren der Positronen – Emissions – Tomographie (PET), Einzel – Photonen - Emissions – Computer – Tomographie (SPECT), Magnetresonanz – Tomographie (MRT) und die Magnetenzephalographie (MEG) fest.

So belegt die Wissenschaft, wie aus der Materie Geist entsteht: Die Qaulia der Menschenrechte, des Gewissens, der Regeln des Zusammenlebens, die Naturgesetze sind Konstrukte, entstanden aus den reentrenten Wechselwirkungen unserer Gehirnnerven und Gehirnzentren und werden zu abstrakten Normen erhoben, die man in die Menschen und in die Menschheit als seinsgegeben von aussen projiziert.

Naturgesetze werden auch in den Naturwissenschaften durch intersubjektive Kommunikation als Paradigmen determiniert. So denkt man sich die Naturgesetze abstrakt zu den Naturerscheinungen hinzugefügt. Sie bestimmen unser Denken und begrenzen es. Die Denkfabriken bestimmter amerikanischer Universitäten determinieren, was denkbar sein darf und was nicht. In der Medizin ist man heute so weit, einen ‚evidence – space‘ einzurichten, der als Kontrollinstrument die Resultate unseres Denkens legitimieren soll. Auf diese Weise wird unser Denken eingeklinkt in einen Cyber-Begriffszusammenhang, der aus lauter Konstrukten besteht. Diese werden in Paradigmen determiniert und zu einer relativen Wirklichkeit erhoben.

So weit ist auf den ersten Blick alles klar.
Auf den zweiten Blick drängt sich dem gesund empfindenden Menschen die Frage auf :
Gibt es denn keine Welt der Wirklichkeit, bin ich als ‚Ich‘ tatsächlich ebenso nur Konstrukt, wie mein Mitmensch. Wie steht es mit dem Konstrukt meiner Gottesvorstellung, sofern ich eine solche habe. (Der Atheist steht da tatsächlich näher an der Wirklichkeit, als der Mensch, der sich durch die praktische Vernunft einen Glauben konstruiert. Oder sich einen Glauben als Dogma, das er als kategorischen Imperativ aufzunehmen hat, konstruieren lässt.)

Wer sich diese Fragen auf Grund seines Nachdenkens stellt, gerät in eine Identitätskrise. Er kann sich daraus herausmanövrieren, in dem er sein Denken ebenfalls als ein Konstrukt abtut und sich den Drang des Fragens abgewöhnt. Das ist die Verdrängung des Denkdranges. Die findet heute in der Form der Lust – und Spassgesellschaft statt, deren Oberflächlichkeit letztlich zu den gesellschaftlichen Problemen von Sucht, Depression – und Gewalt führt.
Luhmann, einer der führenden Theoretiker der systemischen Wissenschaften sagte vor seinem Tod:
„Es gibt viel Hoffnung, aber nicht für uns.“
Wahrscheinlich will er damit sagen, dass wir uns ja nicht so ernst zu nehmen brauchen. Da stellt sich aber die folgende Frage:
Wie sollen wir den Mitmenschen, unseren Arbeitskollegen, unsere Arbeitskollegin, unsere Patienten und ihre Angehörigen ernst nehmen, wenn wir uns selber nicht ernst nehmen.
Der erste Schritt im Durchschauen des postmodernen Welt – und Menschenbildes hat uns also zur Sinnfrage geführt.

Als zweiten Schritt wollen wir der Frage nachgehen, ob es nicht doch eine Wirklichkeit gibt, die wir empirisch belegen können.
Vorerst aber möchte ich aufzeigen, welche Mittel eingesetzt werden, um uns davon abzuhalten, diesen zweiten Schritt zu tun. Eines dieser Mittel ist AIDA. Leider hat diese AIDA nichts mit der wunderbaren Oper von Verdi zu tun. Nein, diese AIDA ist ein Instrument der Werbepsychologie. Ich persönlich bin der Meinung, dass durch die Paradigmatisierung der Wissenschaft, die durch amerikanische Denkfabriken durchgeführt wird, eine regelrechte Denkdressur der Menschheit stattfindet. Es stehen wahrscheinlich nicht nur, aber auch nicht zuletzt, gewaltige finanzielle Interessen hinter dieser Denkdressur. Dass sich die Werbepsychologie der Resultate dieser Denkfabriken bemächtigt und sich die Denkfabriken der Werbepsychologie bedienen, liegt auf der Hand. Es besteht eine Art reentrentes Rückkoppelungssystem zwischen beiden.
Was bedeutet AIDA überhaupt?

A- Attention I – Interest D – Desire A – Action

Was spielt denn AIDA für eine Rolle in Bezug auf die Resultate der Denkfabriken, z. B auch in Bezug auf den ‚evidence-space‘? Diese AIDA will:
Attention – Aufmerksamkeit erzeugen durch das attraktive Angebot, dass uns eigenes Denken und die Sicherheit unserer Erkenntnis (der Evidenz) des unmittelbar Gegebenen abgenommen wird. Das entbindet uns von einem Teil unserer schweren Verantwortung und damit vor einer ev. Haftung.
Interest – Interesse dafür wecken, schnell und sicher zu einer abgesicherten ,Erkenntnis‘ zu kommen.
Desire - Den Wunsch, an einem solchen Konzept, wie es der ‚evidence – space‘ ist, teilzuhaben.
Action - Der Entschluss, dabei mitzumachen und die Tat, da aktiv einzusteigen.

Welcher Zusammenhang besteht nun zwischen der Gehirnforschung und AIDA? AIDA will mich ja für ein Konzept gewinnen. Es ist in diesem Fall ein wissenschaftliches Konzept. Es kann in einem anderen Fall ein politisches Konzept sein oder ein wirtschaftliches oder ganz einfach ein Verkaufskonzept. Worauf zielt AIDA ab. AIDA will uns faszinieren. Und genau hier haben wir nun den Zusammenhang mit der Gehirnforschung. Der Gehirnforscher und die Verkaufspsychologie sprechen von einem ‚Faszinationsregler‘ in unserem Zwischenhirn. Sie kennen die ganze Hirnphysiologie. Sie kennen sie um vieles besser als ich. Dennoch möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, wovon der ausgeht, der mich faszinieren will:
Er geht davon aus, dass in unserem Gehirn der übergeordnete Verhaltensregler, der Faszinationsregler sitzt. Er sitzt im Zwischenhirn, dieser Faszinationsregler sitzt im Zwischenhirn.
Blicken wir kurz in unser Gehirn. Der kanadische Gehirnforscher, Mac Lean, spricht vom dreieinigen Gehirn. Seltsamer Ausdruck für unser Gehirn. Der Begriff ‚dreieinig‘ erinnert uns an den dreieinigen Gott. Es wird wohl nicht so sein, dass der Naturwissenschafter im Gehirn einen Ersatzmythos für die trinitäre Erscheinungsweise Gottes sieht?
Worin besteht also dieses dreieinige Gehirn? Es ist das vorerst einmal der Hirnstamm mit dem verlängerten Rückenmark (medulla oblongata), der Brücke (Pons), dem Cerebellum (Kleinhirn) und dem Mittelhirn. Mac Lean nennt dieses Gehirn das Reptiliengehirn, da es der am wenigsten weit entwickelte Teil des Gehirns ist. Es wird als Kontrollzentrum unbewusster, gefühlloser, roboterähnlicher Programme, die dem Reptilienverhalten ähneln, geschildert. Dann folgt das Zwischenhirn, welches er als Altsäugergehirn bezeichnet und als den Versuch der Natur, dem Reptiliengehirn eine Denkkappe zu verpassen.
Was geschieht denn da?
Das Zwischenhirn umschliesst den Hirnstamm wie einen Saum (Limbus), deswegen wird es auch als ‚limbisches System‘ bezeichnet. Mac Lean nennt es ‚Altsäugergehirn‘. Es ist in der Entwicklung schon weiter vorangeschritten als das Reptiliengehirn. Es verbindet die Informationen, die aus der Aussenwelt verarbeitet werden, mit denjenigen, die aus der Innenwelt des Menschen stammen. Der Mensch ist seiner Organnatur gemäss ein Wesen, das sich gerne wohlfühlt, das sich das Leben gerne bequem und angenehm einrichtet. Wir stecken ja heute in der postmodernen Gesellschaft des Wellness-Zeitalters.
Wenn ich nun als Moderator, Referent, Politiker, Manager, Wissenschafter oder Verkäufer von aussen ein Bild, eine Situation entwerfe, die in Ihrem Innern auf Zuspruch trifft, dann impulsiert dieser Zuspruch aus der Innenwelt der Bedürfnisse, der Instinkte und Triebe der Organe meine Vorstellungswelt im Grosshirn, dem Neusäugergehirn. Es entstehen Vorstellungen mit den entsprechenden Sympathie- oder Antipathie-Gefühlen im Hintergrund.
Da haben wir es also, dieses dreieinige Gehirn nach Mac Lean: das Reptiliengehirn (verantwortlich für unser Reflex- und Instinktverhalten), dann das Altsäugergehirn, dem durch die Verbindung der Aussenwelt mit der Innenwelt das emotionale Erleben des Menschen entspringt und dann das Neusäugergehirn, den Neocortex, in dem die Spuren aller unserer Erfahrungen vor- und nachgeburtlich in den sogenannten globalen Speicherkarten gespeichert sein sollen und in Wechselwirkung mit den beiden anderen Gehirnteilen stehen und durch die Emotionen aus der Innenwelt zum Impuls von Vorstellungen werden, die uns für oder gegen das Konzept oder das Produkt entscheiden lassen.
Diese Automatismen spielen sich aber nur ab, insofern wir uns faszinieren lassen.

Im Etymologie-Duden (Herkunftswörterbuch) findet sich folgende Wortherkunft: faszinieren – „entzücken, bezaubern“/ im 18. Jh. aus lat. Fascinare – „beschreien, behexen“ entlehnt, dessen Vorgeschichte nicht eindeutig geklärt ist. Dazu das Substantiv Faszination – „ Bezauberung“ (aus lat. Fascinatio „Beschreiung, Behexung“).
Die Paradigmen, von denen Mac Lean nur einer von vielen Vertretern ist [andere sind z. B. die Professoren Edelmann und Tononi (Gehirn und Geist) oder die Chaos – Forscher Briggs und Peat (Die Entdeckung des Chaos), auch Niklas Luhmann (der deutsche Vordenker der Systemtheorie, die aus der Chaos-Theorie hervorgeht) oder Michel Foucault (Sexualität und Wahrheit), Andrew Newberg/ Eugene D’Aquili/ Vince Rause (Der gedachte Gott) gehen ausgesprochen oder unausgesprochen von dieser Aussage aus], diese Paradigmen also sagen:
„Unser menschliches Gehirn ist gleichsam die Zusammenfassung seiner evolutionären Vergangenheit. Wir sind Erben der Struktur und Organisation dreier grundlegend verschiedener Gehirne, die wie drei miteinander verschaltete biologische Computer funktionieren, wobei jeder seine eigene Subjektivität und Intelligenz, seine eigenen Zeit- und Raumvorstellungen sowie sein eigenes Gedächtnis besitzt.“
Das psychische System, als das der Mensch der Postmoderne bezeichnet wird, soll also wie ein Computer funktionieren. Durch Input und Output. Und tatsächlich, auf der Mentalebene I und auf der Mentalebene II, auf der Ebene des kausalen und finalen Denkens, insofern wir nicht selber zu denken beginnen, lassen wir uns wie bio-psychische Systeme faszinieren. Da sind wir aber nicht wirklich Mensch. Mensch sind wir erst dort wirklich, wo wir uns solchen Erscheinungen gegenüber eben nicht faszinieren lassen, sondern sie als Gegebenheiten unserer Wahrnehmungswelt betrachten, über die wir nachdenken und über die wir ein eigenständiges Urteil fällen können.
Täuschen Sie sich bitte nicht darüber hinweg, was solche Paradigmen für eine Wirkung haben auf unser Alltagsdenken. Denn in den Denkfabriken, den Universitäten wird das Gedankengut geprägt, das in unsere Ausbildungen, Mittelschulen, Primarschulen und Kindergärten und damit in die ganze Gesellschaft sinkt. Das geschieht durch die Ausbildung der Lehrkräfte, die nach den Paradigmen der Wissenschaft ausgebildet werden. Das geschieht heute durch die verordneten Unterrichtsmodule. Die Menschen werden heute moduliert.
Wir müssen uns aber von den Gehirnforschern und Systemtheoretikern nicht blenden lassen, nur weil sie sich tiefer in gewisse Paradigmen hineingearbeitet haben als wir. Denn, wenn wir da etwas genauer hinschauen, liegt diesen Paradigmen eine Denkweise zu Grunde, die vor 200 Jahren die Menschen aufgewühlt hat. Es ist die Denkweise von Immanuel Kant, der in seiner ‚Kritik der reinen Vernunft‘ sagt, dass die Welt unsere Vorstellung sei. Dass die Gegenstände, die Objekte (l’objet = das uns Entgegengeworfene) nicht erkennbar seien, sondern dass diese nur unsere Vorstellungen seien. Sie, die Dinge an sich, seien nicht erkennbar, denn auf unsere Sinne würden nur die elekromagnetischen Reize, die diese Gegenstände aussenden, wirken. Wir würden in unseren Gehirnen diese Reize verarbeiten und dann als das subjektiv erfahrene Ding (wie es für uns ist!!) in die Welt hinausprojizieren. Es ist nichts anderes als das, was heute die postmodernen Gehirnforscher erzählen. Es geht nicht darum diese Forschungsresultate lächerlich zu machen, nein, die wollen wir ernst nehmen und die können den Menschen von grossem Nutzen sein. Nein es geht um die Interpretation dieser Forschungsresultate.
Wir wollen nun diese Sache wirklich genauer durchdenken und uns bemühen, nicht dem Faszinationsregler zu unterliegen. Dieser wird durch die Überzeugungskraft solcher Paradigmen angesprochen. Wir wollen eine Anstrengung erbringen und unsere durch Erziehung und Gesellschaft geprägten Vorstellungen, die so schwer sich verändern lassen, in Bewegung versetzen.

Seit Kant beherrscht die Ansicht unser Weltbild, dass alles subjektiv sei. Diese Anschauung ist heute auf dem vorher beschriebenen Weg bis in den kleinsten Geist eingeflossen. Dass die Wirklichkeit nicht erkennbar sei, muss erschütternd wirken auf jeden Menschen, der denkt und sich nicht automatenhaft faszinieren lässt von Anschauungen. Dadurch, dass alles subjektiv sein soll, wird auch alles relativ. Auch die Wahrheit. Dadurch, dass alles subjektiv sein soll, muss sich alles in Vorstellungen auflösen. Konkret heisst das Folgendes:
Unsere Sinne werden durch elektromagnetische Wellen oder Photonen affiziert. Sie leiten die Impulse weiter in unser Gehirn. Dort werden sie in den reentrenten Wechselwirkungen der Neuronen und Gehirnzentren verarbeitet und dann vom Gehirn als Ganzheit in der Form von Vorstellungen in die Welt und auf den anderen Menschen projiziert. Wenn wir aber die Sache genau durchdenken, dann wird die Geschichte recht unheimlich. Wenn das nämlich so wäre, dann müssten auch unsere Sinne, unsere Gehirnnerven und Gehirnzentren ebenso ‚nur‘ Vorstellungen sein, wie der Stuhl auf dem Sie sitzen, wie die Apparate, mit denen wir unsere wissenschaftlichen Untersuchungen vornehmen und wie die Quarks und Glutonen des Urknalls. Vorstellungen, so sagt selbst der abgebrühteste Systemtheoretiker und Materialist sind geistig, sie sind aus der Materie entstandener Geist. Mit dieser Aussage muss sich aber, konsequent gedacht, alles in Geist auflösen. Der Materialist wird dadurch zum Spiritualisten. Es müsste also ein undefinierbares, weil nicht erkennbares, also transzendentales, geistiges Wesen existieren, das alle diese unsere Illusionen bewirkt. Der Glaube nennt dieses ausserideelle und nicht erkennbare Wesen ‚Gott‘. Das ist ein Resultat von Kants praktischer Vernunft.
Falls es aber doch Materie gibt, so muss man sich die naheliegende Frage stellen:
Wie kommt die Materie dazu, sich selber zu organisieren und wie kommt sie dann letztlich dazu, über sich selber nachzudenken, so wie das der Mensch doch tut?
Der kantisch und systemisch indoktrinierte Wissenschafter sagt nun: Das kann man nicht wissen!
Diese Aussage ist aber der Tod aller Forschung und Wissenschaft. Damit geben wir uns nicht zufrieden, sondern wir suchen einen Ansatz der uns weiterführt und ein Schritt ist, heute demnach unser zweiter Schritt ist, zur Erkenntnis der Wirklichkeit:
1. Das Problem der Erkenntnis der Wirklichkeit wird zum Problem der Naturwissenschaft, in dem sich aus dem Unmittelbar–Gegebenen, die Frage nach seiner Gesetzmässigkeit stellt. Das Unmittelbar–Gegebene ist vor allem Denken darüber gegeben. Diesem Unmittelbar – Gegebenen steht also die Fähigkeit des Denkens gegenüber. Diese Fähigkeit wird durch die Wahrnehmung angestossen. Anders gesagt, die Fähigkeit des Denkens stösst sich an der Wahrnehmung. Sie ist also rein empirisch ausgerichtet.
2. Wir wollen den Sachverhalt an diesem Gegenstand (Salzkristall) nachvollziehen.
Was nehmen wir wahr? Geraden. Senkrechte Geraden, waagrechte Geraden, Geraden die nach hinten verlaufen, Flächen, würfelartige Formen. Da haben wir über das Denken schon Begriffe aus dem allgemeinen Begriffszusammenhang an die Wahrnehmungen herangetragen. Wir analysieren. Das Denken wird aber von den Wahrnehmungen dazu angestossen, die Begriffe im Gesamtzusammenhang zu suchen. Das ist die erste Bewegung des Denkens, die Suchbewegung der Analyse. Die zweite Bewegung der Analyse ist das Heranführen des Begriffs aus dem allgemeinen Weltzusammenhang an die Wahrnehmung und die Prüfung, ob der im Gesamtzusammenhang gefundene Begriff zur Wahrnehmung passt. Die Analyse ist Deduktion. Ohne die Begriffe ist das Unmittelbar–Gegebene reines Chaos. Das Denken strukturiert durch die Begriffe, die es an das Unmittelbar–Gegebene heranführt, die Wahrnehmung in unserem Bewusstsein ihren Gesetzmässigkeiten gemäss. Die Gesetzmässigkeiten sind aber der Wahrnehmung inhärent. Sie geben der Wahrnehmung die Form, die wir durch das Denken nachvollziehen und als solche in Form des Begriffs erkennen. Das Unmittelbar–Gegebene steht im allgemeinen Weltzusammenhang drin. Die Geraden bilden in ihrem Zusammenhang die Flächen, die Flächen die Würfel, die Würfel den Kristall, die Kristalle die Mineralwelt. ‚Mineralwelt‘ ist der Oberbegriff für die anorganischen Erscheinungen, zu diesem Oberbegriff finden wir den Begriff des Seins, für den Begriff des Seins finden wir dem Begriff, aus dem heraus alle Begriffe gefunden werden. Das ist der Begriff des Begriffs oder das Begreifen des Begriffs. Dies Wiederum ist die Fähigkeit unseres Denkens. Darüber muss man immer wieder nachdenken. Es ist so, der Begriff des Begriffs ist die Fähigkeit unseres Denkens. Durch sie können wir die Begriffe erst an die Wahrnehmung heranführen und dadurch aus der Wahrnehmung in unser Bewusstsein aufnehmen.
Was ist geschehen?
Wir haben aus der Wahrnehmung die ihr inhärente geistige Seite, den Begriff durch das Denken herausgelöst, indem wir ihn durch Deduktion aus dem allgemeinen Begriffszusammenhang der Welt an die Wahrnehmung herangeführt haben. Er wird an der Wahrnehmung geprüft, ob er passt. Passt er, dann ist der Begriff individualisiert. Zur gleichen Zeit ist die Wahrnehmung für unser Bewusstsein in den allgemeinen Begriffszusammenhang gestellt, das heisst universalisiert. Wir haben den individualisierten Begriff wieder zurückgeführt in den allgemeinen Weltzusammenhang. Wir haben die Synthese durchgeführt. Die Zusammenschau durch das Denken. An der Erfahrung haben wir den Begriff geprüft, analysiert und durch Induktion wieder in den Gesamtzusammenhang gestellt. Wenn diese Bewegungen der Analyse, d.h. dem Herauslösen aus dem gesamten Begriffszusammenhang und der Synthese, d.h. dem Wiedereinfügen in den Gesamtzusammenhang der Begriffe vollbracht sind, findet Evidenz, d.h. unmittelbare Einsicht, bzw. Erkenntnis statt. Wir kennen dieses Aha-Erlebnis als das belebende Element, das uns im Forschen motiviert und weiterführt. Wir haben eine Vorstellung gebildet. Diese bleibt in unserem Gedächtnis. Den Begriff haben wir mit anderen Begriffen aus weiteren Wahrnehmungen durch das Denken in einen Zusammenhang gebracht. Dies ist geschehen dadurch, dass wir aus der Verbindung von Begriffen Urteile gebildet haben. Die Urteile haben wir wiederum zu Schlüssen verbunden. Die Schlüsse sind nun aber wieder Begriffe auf einer höheren Stufe.
Durch die der Wahrnehmung inhärente Gesetzmässigkeit wird unser Denken angeregt in der Hierarchie der Begriffe als reines Denken bis zum Begriff des Seins aufzusteigen. Die nächst höhere Stufe kann nur die des Begriffs von den Begriffen sein, was die Fähigkeit des Denkens ist. Da wird unser Denken, das wir selber hervorgebracht haben, selbst zur Wahrnehmung.Somit haben wir hier im Denken des Denkens die Gegenüberstellung des reinen Denkens und der reinen Beobachtung. Da sind wir wirklich im Geiste tätig. Beobachten und Denken sind also Grundinstrumente jedes Menschen, aber insbesondere des Wissenschafters. Der Anstoss zur Beobachtungs-Aktivität und zur Denkaktivität kommt aber aus der Erfahrung. In Beobachten und Denken sind wir empirisch tätig.
Es gibt keinen transzendentalen, ausserideellen Weltzusammenhang. Der Wissenschafter hat durch die individuelle Anwendung der Fähigkeit des Denkens, durch den Denkwillen also, das allgemeine Naturgesetz erkannt, das im Unmittelbar-Gegebenen real wirksam ist. Die Erkenntnis ist folglich ein subjekt-allgemeiner Vorgang.

3. Einer wirklich naturwissenschaftlichen Erkenntnis muss der Kreislauf der Induktion und Deduktion zu Grunde liegen, so wie er oben dargestellt ist. Das Unmittelbar–Gegebene ist, wie wir gesehen haben, für unsere Sinne ‚Wahrnehmung‘ und für unser Denken ‚Begriff‘. Wenn wir jetzt, von der Erfahrung ausgehend, nur den induktiven Teil der Erkenntnis ausführen, so führt das nicht zu einem Naturgesetz, sondern nur zu statistischen Erhebungen auf Grund der Erscheinungen, die man im günstigsten Fall als ein empirisches Gesetz ansprechen kann. Daraus entstehen Paradigmen. Diese sind die Grundlagen von computergestützten Diagnosekonzepten.
4. Im umgekehrten Fall, wo nur die Deduktion durchgeführt wird und die Ableitung aus vorausgefassten, aus dem Gesamtzusammenhang geholten Begriffen geschieht, führt dies ebensowenig zu einer Erkenntis der inhärenten Gesetzmässigkeit, sondern zur Hypothese. Erkenntnis des vor allem Denken Unmittelbar-Gegebenen kann also nur durch den Kreislauf von Deduktion und Induktion, bzw. von Analyse und Synthese stattfinden. Erst dadurch gelangen wir zur Erkenntnis der Wirklichkeit, die vor uns liegt. Das heisst wir erkennen die Idee in der Wirklichkeit.

Diese Tatsache Tatsache wurde von Goethe in die folgenden Dichterworte gekleidet:
„ Was ist das Allgemeine? Der besondere Fall. – Was ist der besondere Fall? Millionen Fälle.“

Von der Systemwissenschaft wird diese Sichtweise aufgegriffen, indem sie sagt, dass in jedem System eine Wechselwirkung zwischen dem Teil und dem Ganzen bestehe. Wobei sowohl dem Teil, als auch dem Ganzen im Ganzen Kosmos nichts Ideelles zukomme, denn ein solches ist nicht erkennbar und die wissenschaftlich anerkannten Gesetzmässigkeiten sind blosse Konstrukte, die durch intersubjektive Konvention zu Paradigmen werden, die man dann widersprüchlich als relative Realitäten behandelt. Briggs und Peat, die amerikanischen Wissenschafter und Nobelpreisträger sagen:
„... dass die Gestalt des Ganzen vom winzigsten Teil abhängt. So gesehen ist der Teil das Ganze, und das Ganze der Teil, denn durch das Wirken jedes Teils kann sich das Ganze in Gestalt des Chaos oder des Wandels manifestieren. Dieser den Wandel bewirkende Teil, der Anfang des Ganzen, ist die Informationslücke.“ Sie ist das Prinzip, das im System, bzw. im wahrgenommenen Objekt oder im Organismus als konstituierendes Prinzip wirkt. Dieses Prinzip ist nicht erkennbar, wirkt also als etwas ‚Transzendentales‘, ‚Ausserideelles‘. Die Systemwissenschaft nennt es das ‚autopoietische Prinzip‘.

Die Frage des wach denkenden Menschen, der nicht der Faszination ausgeliefert ist, kann nur lauten:
„Wie soll ein Prinzip transzendent sein, also nicht erkennbar sein, wenn es sich im Teil und im Ganzen manifestiert?“

Da können wir wiederum mit Goethe sagen:
„Das Höchste wäre, zu begreifen, dass alles Faktische schon Theorie ist. (...) Man suche nur nichts hinter den Phänomenen: Sie selber sind die Lehre“
Anders gesagt: Was ist, ist. Was nicht ist, ist nicht. Es gibt keine Informationslücke.

Wir müssen lernen, das Unmittelbar-Gegebene in seiner Gesetzmässigkeit, in seinem Begriff, in seinem Wesen zu erfassen. Denn dieser ist für das Denken dasselbe, wie wie das Unmittelbar-Gegebene für die Sinneswahrnehmung. Das geschieht dadurch, dass wir alle uns zugänglichen Phänomene der Erscheinung beobachten und sie durch unseren Denkwillen in einen Zusammenhang bringen. In der anorganischen Welt der Physik und der Chemie heisst die Methode des Erfassens ,Kausalität‘. Ihre Berechtigung liegt in der Welt des Gewordenen. Wenn - Dann Beziehungen, lineare Ursache-Wirkung – Beziehungen haben da ihre Gültigkeit. Die Kybernetik versucht nun durch die Idee der Rückkoppelungsprozesse die Welt des Organischen zu erfassen. Aber selbst mit den raffiniertesten reentrenten Regelkreisen und seien sie noch so komplex, kann die Realität der Gleichzeitigkeit in der Entwicklung eines Organs, sei es pflanzlicher oder tierischer Art nicht erfasst werden. Denn im Regelkreis gibt es immer ein Vorher und ein Nachher. Das Programmieren geht der Animation immer voraus. Ist also immer vergangenheitsbezogen.
Die Welt des Seelischen, der Instinkte, Triebe und Begierden, die in den Empfindungen der Tiere und uns Menschen wirken, können wir ebenfalls nicht durch das kausale Denken, das vergangenheitsbezogen ist, erfassen. Das seelische Leben kann nur durch das finale Denken erfasst werden. Dieses setzt sich Ziele und Zwecke, die es erreichen will, ist also zukunftsgerichtet, selbst wenn die Motive vergangenheitsbezogen, also kausal begründet sind. Mit dieser Denkmethode befinden wir uns im Zeitstrom der uns aus der Zukunft entgegenströmt. Die finale Denkmethode ist als die Methode der Psychologie.

Die Gesetzmässigkeiten in der Welt des Lebens, des Organischen also, können wir nur erkennen und verstehen lernen, wenn wir die in ihrer Gleichzeitigkeit auftauchenden Phänomene durch das Denken in einen Zusammenhang bringen. Aus diesem Zusammenhang spricht die Gesetzmässigkeit des lebendigen Organismus. In der Erscheinung der Gesetzmässigkeit erkennen wir, ob ein Organ und damit der ganze Organismus gesund oder krank ist. Wir erkennen dies durch das geistesgegenwärtige Beobachten der Phänomene. Geistesgegenwärtig heisst, dass wir die Phänomene durch den Denkakt im Zusammenhang ihrer gleichzeitigen Entwicklung verfolgen. Es ist dieses die simultan-korrelative Denkmethode. Damit können wir das Lebendige erfassen. Es ist das simultan-korrelative Denken die Methode die der Diagnose und Prognostik zugrunde liegt.
Durch die Kausalität der Regelkreise, die in der systemischen Methode angewendet werden, hinken wir der Gegenwart ständig hintendrein. Wir sind dadurch realitätsfern. Durch die finale Denkweise projizieren wir Vorstellungen in unsere Wahrnehmungen, die mehr unseren Wünschen entsprechen, die wir uns also aus der Zukunft erhoffen. Wir bewegen uns dadurch ebensfalls realitätsfern.

Im simultan korrelativen Erfassen der Erscheinungen sind wir fähig, geistesgegenwärtig zu handeln. Dies kann uns auch das raffinierteste Computersystem nicht ersetzen, denn es gibt keines, das nicht vergangenheitsbezogen programmiert ist. Selbst wenn es irgendeinmal gelingen sollte, den Computer durch Kameras an den Phänomenen teilhaben zu lassen, kann er nur programmierte Daten aus dem sekundären Cyber-Weltzusammenhang kombinieren und solche Kombinationen ausspucken. Er kann nicht aus der Gesamtschau menschlichen Wahrnehmens in Geistesgegenwart das tun, was in der besonderen Situation aus einer Intuition heraus getan werden muss. Ein aus dem simultan-korrelativen Denkakt resultierender Geistesblitz, eine Intuition eben aus dem realen primären Weltzusammenhang, kann sämtlichen anerkannten Regeln und Paradigmen widersprechen und für die reale Situation eben doch das Richtige sein. Es ist dies die Erkenntnis der Idee in der Wirklichkeit. Diese kann zu keiner Zeit und in keiner Maschine programmiert werden, die nur Resultate aus einem sekundär-konstruierten Cyber-World-Zusammenhang auspucken kann.

Zum Schluss wollen wir einen Blick auf den geschichtlichen Werdegang des postmodernen Welt- und Menschenbildes werfen. Unsere Denkkultur findet ihren Ursprung in den philosphischen Systemen von Platon und Aristoteles.
Platon sagt, dass Wirklichkeit nur den allgemeinen Ideen zukomme und das das Besondere nur eine schattenhafte, von den allgemeinen Ideen abgeleitete, unvollkommene Nachbildung sei.
Aristoteles folgt seinem Lehrer darin nicht. Das Allgemeine ist ihm nicht ein ideelles, gleichsam jenseitiges Urbild. Er sagt: Wenn wir eine allgemeine Gesetzmässigkeit aussprechen, so können wir das im Grunde immer nur aus den in Raum und Zeit existierenden Einzeldingen herausholen. Auf sie beziehen sich alle unsere Urteile.
Wichtige Nachfolger Platos finden wir in Plotin, der eine ähnliche Ideenlehre vertritt und dann den Kirchenvater Augustinus. Dieser ist einer der ersten Menschen, der in seinem individuellen Denken, den Beweis seiner persönlichen Existenz sieht. Durch seine Trinitätslehre schafft er aber die Grundlage für eine grosse Verwirrung in der Entwicklung des menschlichen Denkens. Er sieht die drei Personen der Gottheit, also den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist nicht als eine subtantielle, quantitative oder qualitative Unterschiedenheit an, weil eine solche gar nicht bestehe. Das ewige Verhältnis der dreieinigen Personen wird einzig durch die Begriffe bezeichnet. Dennoch meinte er das nicht abstrakt, sondern im Sinne von Plato völlig real. Dergestalt stellte er sich also das Allgemeine vor, aus dem das Besondere, die Einzeldinge fliessen. Es ging ihm vor allem darum, ein für allemal zu verhindern, dass die Dreieinigkeitslehre zu einer Drei-Götterlehre verkommen könnte.

Der denkende Mensch muss sich allerdings die Frage stellen, wie ein subtantiell, qauntitativ und qualitativ nicht Unterscheidbares in eine ewige Relation treten kann. Wie soll eine ununterschiedene und ununterscheidbare Dreiheit in eine ewige Relation treten?
Es ist dies eine Frage die man nicht stellen darf, denn dieses Dogma bildet sowohl für die protestantische, als auch für die katholische Kirche die Grundlage ihres Dreieinigkeitsglaubens.
Es liegt hier aber nicht nur die Wurzel der kirchlichen Dogmen, sondern wie wir späterhin sehen werden, auch der Grund für naturwissenschaftliche Dogmen. Diese Dogmen werden über Jahrhunderte gelehrt und wirken bewusstseinsprägend aus dem kollektiven Unbewussten der Menschheit heraus. Je mehr wir sagen, dass uns eine solche Wirkung nicht berühre, desto kräftiger wirkt sie.
Durch diese unklare Deutung der Trinität wird die Grundlage dafür geschaffen, dass das Glaubensbekenntnis der allgemeinen katholischen Kirche einen Zusatz erhält. Sie werden gleich sehen, warum es so wichtig ist, dass wir diesen geschichtlichen Exkurs machen.
Während in den Glaubensbekenntnissen der beiden Konzilien zu Nicäa (325 n.Chr. und 381 n. Chr.) die Trinität als drei selbständige Personen, die als eine Ganzheit auftreten, verehrt wird, kommt es nach dem Dogma von Augustinus (ca. 395 n. Chr.) immer wieder zu grundsätzlichen Diskussionen über die Wirklichkeit der Trinität. Im 6. Jahrhundert n.Chr. (589) wird in Toledo ein Zusatz zum Glaubensbekenntnis von Nicäa 381 n. Chr. angefügt. Dieser lautet:
...Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, ...



lateinisch: ...Et in Spiritum Sanctum, Dominum et vivificantem,
qui ex Patre Filioque procedit. ...

Dieser Zusatz wird im Jahre 869 n. Chr. zum Kirchendogma. 879 wird er wieder aufgehoben, aber im Jahre 1215 n. Chr. offiziell und definitiv wieder eingeführt. Er ist bis heute gültig.
Im Mittelalter, in der Scholastik, hat sich aber noch anderes sehr Wesentliches getan, was unser Denken und damit das Denken der Wissenschaft bis heute in ungeahnter Weise prägt:
Ein missdeuteter, abgewandelter Platonismus lebte fort in Anselm von Canterburry (1033 bis 1109). Er gehört zur scholastischen Strömung der Realisten. Sie betrachteten einzig die Ideen als real. Glauben aber an eine ausserideelle, transzendentale, also nicht erkennbare Gottheit, die diese Ideen bewirkt. Ihr Motto ist:
„Credo ut intelligam – ich glaube, damit ich verstehen kann.“

Der Aristotelismus lebt in abgewandelter und missdeuteter Weise in den Nominalisten (Johannes Roscellinus, 1050 – 1120) der Scholastik fort, die sagen, dass einzig und allein die Einzeldinge real, die allgemeinen Begriffe aber abstrakt zu diesen hinzugefügt seien.
Der Grundsatz der Realisten war, dass nur die Ideenwelt real, aber von einem transzendenten Gott bewirkt sei und die Einzeldinge ein schattenhafter Abglanz davon: Universalia ante res.
Der Grundsatz der Nominalisten war, dass nur die Einzeldinge real und die Ideen oder Begriffe von den Einzeldingen durch den Verstand abgezogen und abstrakt dazugefügt werden: Universalia post res.
Der Streit zwischen diesen beiden Strömungen wurde durch Petrus Abälardus (1079 –1142) geschlichtet, in dem er erkannte, dass die Ideen real und nicht von einer ausserideellen Gottheit bewirkt in den Einzeldingen lebendig wirksam seien. Er sprach aus: „Intellego ut credam – ich erkenne, auf dass ich glaube“.
Sein Grundsatz ist, dass die Gesetzmässigkeiten der Erscheinungen in ihnen selber wirken. Sein Prinzip war: Universalia in rebus.
Er hat den Erkenntnisstreit vorübergehend geschlichtet. Erstaunlicherweise geriet seine Erkenntnis leider in Vergessenheit. Erstaunlich deshalb, weil durch diese Einsicht das Erkenntnis-Problem gelöst wäre.
Damit haben wir zusammengetragen, was heute im Denken der Menschen unbewusst wirksam ist, auch und vor allem im Denken der Naturwissenschaft.
1. Gehen wir vom christlichen Konzept der Trinität aus: Es rührt her aus dem Bedürfnis den Urgrund allen Seins zu verstehen. Wenn wir vom Werden alles Möglichen ausgehen, dann sehen wir, dass alles, wirklich alles aus drei Qualitäten besteht:
- Der Qualität der Form (Gesetzmässigkeit, Idee, Begriff): diese scheint dem Geist zu entsprechen.
- Der Qualität der Substanz (Stoff, Materie): diese scheint dem Vater zu entsprechen
- Und der Qualität des Verhältnissses zwischen Form und Substanz: Der Werdeprozess des in das Verhältnissetzen scheint dem Sohn zu entsprechen. Das ist der Denkwille, der in der Natur in den Biozönosen als Regulativ des Fliessgleichgewichts wirkt und im Menschen durch die Gesetzmässigkeit von Inkarnation und Exkarnation bewusst, also individualisiert wird. Diese Gesetzmässigkeit ist auch die Gesetzmässigkeit des Sohnes, des Christus.
In der Bewusstwerdung des Denkwillens und der Erkenntnis der Idee in der Wirklichkeit schaffen wir den Durchbruch zur Mentalebene III. Das ist das Bewusstsein unseres realen Ichs, als Denkwille und Ideenrealität. Und das ist der dritte Schritt, den wir im heutigen Referat miteinander nachvollziehen.
Die Dreiheit von Substanz, Verhältnis und Form ist allen Erscheinungen als Einheit inhärent, auf jeder Ebene des Seins und des Daseins. Es gibt nur diese Möglichkeit des Erscheinens:
In der anorganischen Welt, in der sich die Urphänomene als Naturgesetze zeigen. In der organischen Welt der Pflanzen, in der sich Systole und Diastole in der Metamorphose des Blattes als Gesetz und Idee des Pflanzentypus zeigen. In der Empfindungswelt der Tiere und der Menschen, in welcher sich Sympathie und Antipantie durch Bildung eines Innenlebens in der biologischen Gesetzmässigkeit der Involution und Evolution als der Gesetzmässigkeit des Tiertypus zeigen. Und der Welt der Gedanken und Ideen des Menschen, die sich durch die Gesetzmässkeit von Inkarnation und Exkarnation des Denkwillens auf der Erde manifestiert. Ja selbst ein Gedanke muss aus Gedankensubstanz bestehen, denn sonst könnte man ihn nicht in eine Form bringen und er wäre für den aktiv mitdenkenden Mitmenschen nicht wahrnehmbar.
Wenn nun gesagt wird, dass Geist (Form), Vater (Substanz) und Sohn (Verhältnis) eine substantielle, qualitative und quantitative Ununterschiedenheit aufweisen, wird die Klarheit in der Welt- und Menschenerkenntnis vernebelt.
Wird dann zusätzlich durch das Filioque dogmatisch indoktriniert, dass der Geist aus dem Vater und dem Sohn hervorgegangen sei, dann heisst das, dass die Form aus der Substanz und dem in der Erzeugung der Form entstehenden Verhältis hervorgegangen sei. Das ist die Selbstorganisation der Materie, die Autopoiesis der postmodernen Wissenschaft der systemischen Theorien.

2. Den scholastischen Realismus des ausserideellen Wesens, das damals Gott genannt wurde, das transzendental wirken und unsere Ideen und Vorstellungen bewirken soll, finden wir als völlig verwandelten und verkannten Platonismus in Kants nicht erkennbarem „Ding an sich“ wieder.
Ebenso finden wir den Nominalismus, der sagt, dass wir den Erscheinungen in unserer Wahrnehmungswelt, also dem „Ding für uns“ einfach unsere subjektiven Vorstellungen überstülpen, als verwandelten und verkehrten Aristotelismus bei Kant wieder. Dieser sagt, dass die Erscheinungen ebenso wie die Naturgesetze nur unsere subjektiven Projektionen seien.
Dass die Gesetzmässigkeiten den Erfahrungsgegenständen real inhärent und keine Projektionen sind, haben wir dargestellt. Diese Erkenntnis verbindet richtig verstandenen Platonismus mit richtig verstandenem Aristotelismus und bekommt vor dem Hintergrund des vorgängig entwickelten Trinitätsprinzip einen strahlenden Glanz. Dieser Glanz erstrahlt aus dem freien und eigenständigen Erkenntnis-und Entscheidungsvermögen der uns umgebenden Mitmenschen, insofern sie dieses entwickelt haben. Dieser Glanz erstrahlt aus uns, den uns umgebenden Mitmenschen entgegen, insofern wir das eigenständige Erkenntnis- und Entscheidungsvermögen entwickelt haben. Das geschieht durch die Individualisierung des Denkwillens.

Diese Gedanken sind weiter entwickelt und ausgeführt in den folgenden Büchern aus dem Grin-Verlag München, Akademische Bücherreihe:
- Wut, Chaos und Zerstörung. F. Frey, Grin-Verlag München, 2007.
- Der entscheidende Zeit-Not-wendige Schritt. F. Frey, Grin-Verlag München, 2006.
- Die Informationslücke. F. Frey, Grin-Verlag München, 2006