Donnerstag, 13. Dezember 2007

Wir behaupten das Gegenteil!

Die Frage, wie die automatisierten Abläufe der Assoziationen unseres Vorstellungslebens überwunden werden können, ist schwierig, aber reizvoll. Gedanklich ist das Problem eigentlich schon gelöst, wenn ich folgende Frage formuliert habe: Wie ist die Gegenwart zu verneinen? Die Frage ist, wie kommen wir durch das Überwinden der Vorstellung zur lebendigen Imagination. Zur Imagination als einem objektiven Wahrbild in einer Gesellschaft des Subjektiven, in der es keine Wahrheit gibt. Die Griechen kannten kein Wort für Wahrheit. Sie brauchten den Ausdruck ‚a lethia‘, was so viel heisst, wie ‚nicht vergessen‘, ‚erinnern‘, für Plato und nicht nur für ihn, bedeutete dies ‚Geisterinnern‘ der lebendig schaffenden Ideenwelt. Da ist anzuknüpfen:
Wir behaupten das Gegenteil. Ich bin – Ich bin nicht. Eigentlich sind wir da im Bereich der Verneinung des Gegenwärtigen. Die Verneinung des Gegenwärtigen ist die Verneinung des Anwesenden, dessen was anwest als Geist und Seele in der Leiblichkeit. Es ist also die Verneinung des Wesens im gegenwärtig Gewordenen des Leibes. Das Wesen ist das Geistige in der Erscheinung dessen, was gegenwärtig vor uns liegt. In der subjektivierenden und damit alles relativierenden Gesellschaft wird das Geistige in der Erscheinung verneint, indem behauptet wird, dass die Erscheinungen nur unsere Vorstellungen sind, die sich selber aufgrund der Rückkoppelungssysteme in unserem Organismus automatisch selbstorganisierend (autopoietisch) organisieren. Das ist ebenso Verneinung des Gegenwärtigen. Die Verneinung der Geistesgegenwart: Des Wesens im Anwesenden als Innerlichkeit des Menschenseins. Daher kommt die Abwesenheit des Desinteressierten. Dies geschieht durch die Geistesabwesenheit, das Desinteresse des Geistverlassenen.Damit kommt es zur Entgeisterung. Die Gesellschaft des Subjektivismus ist entgeistert. Die Bejahung des Gegenwärtigen, des Anwesenden, des Geistigen, das in der Erscheinung anwest, des Wesens also, ist ihr Gegenteil, ist Begeisterung.Im ‚Ich bin‘ der Wirklichkeit fühle ich Begeisterung. Im ‚Ich bin nicht‘ der Vorstellung fühle ich Entgeisterung. Das ist Ohnmacht.‚Ich bin‘ ist Leben, ist Identität mit dem Wesen im Anwesenden.‚Ich bin nicht‘ ist Tod, Entgeisterung, Verlust des Wesens, das sich uns entzogen hat. Wir leben gegenwärtig in Vorstellungen, nicht in Wirklichkeiten sondern in subjektiven Illusionen. Deshalb sind wir entgeistert.Leben bedeutet ‚Geburt ins Diesseits‘. Tod bedeutet ‚Geburt ins Jenseits‘. Wenn ein Geist stirbt, wird er Mensch; stirbt ein Mensch, wird er Geist (Novalis).In jeder Idee erleben wir eine Geburt, im Verwirklichen der Idee führen wir diese in den Tod, in die feste Erscheinung. Erkennen wir die Idee in der Erscheinung wieder, dann erkennen wir ihr Wesen, wir sind begeistert, da es im Anwesenden west. Das Erkennen des Wesens ist Auferstehung in der Erkenntnis der lebendig sich wandelnden Idee.Wir erleben im Leben Tausende Geburten, Tausende Tode, ein stetes Auferstehen, weil wir sonst nicht leben könnten. Im Verneinen des Wesens, das ist in der Illusion, sind wir tot.
Geburt ist Weihnachten, Tod ist Karfreitag, Ostern ist Auferstehung. Das ist der Weg der Ideenverwirklichung und der Wesenserkenntnis im Erscheinenden. Das ist das Wesen der Kunst, die schafft, sich aus dem Geschaffenen entzieht und es dem Betrachtenden überlässt die Auferstehung zu erleben.
Wenn wir in unserer subjektivistischen Gesellschaft das Gegenteil der Gesinnung dieser Gesellschaft behaupten, dann sind wir in der Verneinung des gegenwärtig Gültigen. In der entgeisterten Gesellschaft hat diese Verneinung durch den Subjektivismus keine Berechtigung. Das müssen wir akzeptieren. Akzeptieren heisst aber nicht, dass wir es nicht trotzdem tun können. Nämlich das Gegenteil zu behaupten.
In unserer die Gegenwart des Geistes verneinenden Gesellschaft ist es nicht angebracht, das christliche Geheimnis von Geburt, Tod und Auferstehung konsumfeindlich zur Darstellung zu bringen. Man darf es nicht so darstellen. Dass dies so ist, ist auch ein Gegenwärtiges, das Gegenwärtige des Wesenlosen. Die Verneinung dieses Gegenwärtigen ist folglich die Bejahung des Wesens. Die Verneinung der Verneinung ist die Bejahung. Daraus entsteht Begeisterung durch Wesenserkenntnis. Wir sind begeistert, das Gegenteil zu behaupten und einen Weg dieser Verneinung darzustellen. Daraus ergibt sich die Frage: Wie stelle ich in der ‚Gesellschaft der Verneinung des Geistes-Gegenwärtigen‘ Geburt, Tod und Auferstehung dar?
Das ‚Ich bin‘ ist das Gegenteil, die Verneinung des ‚Ich bin nicht‘ und umgekehrt.Das Leben die Verneinung des Todes und umgekehrt.Das Lächeln überwindet das Weinen, es behauptet das Gegenteil.Die Freude die Trauer,Die Liebe den Hass.
Immer ist es auch umgekehrt.Die Verneinung der Verneinung der Geistesgegenwart im Anwesenden ist das Überwinden der Gewalt, die wir dem Erscheinenden und damit dem anderen Menschen durch unsere Vorstellungen antun, denn die Vorstellungen verneinen das Wesen im Anwesenden. Deshalb sind sie unwirklich. Die Gewalt aber ist wirklich. Die Verneinung des Wesens führt vorerst zum Identitätsverlust, weil wir das Wesen selber sind. Wir finden unsere Identität wieder in der Wesenserkenntnis. Aber wir müssen durch diese transpersonale Krise gehen, um unsere wirkliche Identität zu finden.Die Wüste blüht nach einem einzigen Regen.Der Keimling entsprosst dem toten Samenkorn.Aus dem dürren Ast entspriessen grüne Blätter.Im Lazarett der Kriegsgeschundenen stellt die Frau eine Sonnenblume in den Raum: Sie behauptet das Gegenteil.Der Arzt nimmt die Hand einer Mutter, deren Sohn im Sterben liegt.Der Geiger macht Musik beim Sterbenden. Er behauptet das Gegenteil.Durch die Verneinung der ‚Gewalt der Verneinung des Wesens im Anwesenden‘ schaffen wir den Durchbruch durch unsere Identitätskrise zum Quell des Lebens, unseres ‚Ich-bin‘, zum Wesen unserer selbst, zu unserer wirklichen Identität, zum wahren Menschsein.Die Möglichkeit dessen, dass wir das Gegenteil behaupten können, macht uns frei. Es kann uns niemand zwingen, den Durchbruch zu schaffen. Wir können in der ‚Verneinung des Wesens in der Erscheinung‘, in unserer Vorstellung also, verharren.Das Bild vom Menschen im Menschen ist Wesenserkenntnis unter Menschen. Es ist das Bild vom Antlitz des Menschen. Dieses ist die gesuchte Imagination.Behaupten wir das Gegenteil dessen was Phrase, Konvention und Routine sind!

Beachten Sie bitte die Bücherreihe des Autors Fritz Frey zum Thema Illusion und Wirklichkeit. Die Bücher sind im Grin-Verlag in München erschienen:

- Die Informationslücke. Ist die Selbstbestimmung des Menschen eine Illusion?
- Der entscheidende Zeit- Not- wendige Schritt. Welt- und Ichbewusstsein, Illusion oder Wirklichkeit?
- Wut, Chaos und Zerstörung. Gesellschaft und Ichbewusstsein.

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